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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

beides, Eifer und Geist; Bruderliebe und Ehrerbietung sind eifrig, d. i. sie zaudern nicht, wie Luther übersetzt: „Sie sind nicht träge, was sie thun sollen.“ Obwol friedenvoll, sind sie doch schäftig und mächtig, und gehen allezeit auf das Ziel los, nach dem sie trachten. Dabei aber sprudelt inwendig das Leben des heiligen Geistes, und unser Geist wird brünstig, durch die Regungen, die wir von Ihm genießen, so daß zum menschlich regen Leben die göttliche Süßigkeit und Kraft des heiligen Geistes tritt. Dadurch wird dem Eifer nicht blos Maß, sondern auch Lieblichkeit und Heiligkeit gegeben, und die Bewegung in der Gemeinde, die unaufhörlich ist, wird eben dadurch zum priesterlich heiligen Leben; so daß man von demselben auch das letzte Wort sagen kann, das der Apostel von der Gemeinde braucht: „Dienend dem HErrn.“ Das ganze Leben wird zum Gottesdienst. Die Gemeinde, die da ist, wie sie soll, trachtet darnach, daß sie ihrem HErrn wolgefalle. Liebe und Haß, Bruderliebe und Achtung, Eifer und Geistesregung, alles zusammen geht einem Ziele zu, daß der Name des HErrn geheiligt werde, Sein Reich komme, Sein Wille geschehe, daß Ihm gedient werde. Man kann sagen, daß Bruderliebe und Gottesdienst die beiden charakteristischen Merkmale alles neuen Lebens des neuen Testamentes seien, daß die Aemter des neuen Testamentes, alle Seelsorge und Leitung der Gemeinde kein andres Ziel habe, als die brünstige Liebe der neuen geistigen Verwandtschaft und den heiligen Priester- und Opferdienst jener kindlichen Andacht, welche das ganze Leben vor Gottes Angesicht webt und auf Gottes Altare niederlegt.

 Ihr werdet sagen: Wo steht denn aber in unserem Texte dasjenige, was du zur Spitze des ganzen Gemeindelebens machst? Wo liesest du die Worte: Dienend dem HErrn? Luthers Uebersetzung bringt ja den Satz: Schicket euch in die Zeit. – Darauf antworte ich euch, meine Brüder, daß man allerdings in verschiedenen Handschriften des neuen Testamentes die Worte liest: „Dienend der Zeit,“ was Luther übersetzt hat: „Schicket euch in die Zeit,“ daß aber andere Handschriften die Uebersetzung verlangen, die ich euch sagte: „Dienend dem HErrn.“ Nach den vorausgehenden Ermahnungen und im Verhältnis zu denen, die da folgen, wird man auch wol geneigt sein, dem Dienste des HErrn vor dem Dienste der Zeit den Vorzug zu geben. So steht eine ebenbürtige Vermahnung mitten unter vielen, und das Gemeindeleben ist vom neunten bis zum elften Verse auf seinen Höhepunkt geführt; während die Erinnerung, sich in die Zeit zu schicken, kühl, klein und unpaßend für die Reihe der vorhergehenden, aus der Höhe und Tiefe des Lebens gegriffenen Ermahnungen zu sein scheint. Darum laßt euch nur gefallen, was euch gepredigt ist, und schaffet, daß euer Leben unter einander Gottesdienst werde, suchet wenigstens nicht des Lebens höchste Zier darinnen, daß ihr euch in die Zeit und ihre Verhältnisse schicket.


III.

 Bis hieher, meine lieben Brüder, haben wir in unsrem Texte gesehen, welche Kräfte und Tugenden den Leitern einer Gemeinde nötig seien, welche allen ihren Gliedern. Jetzt beginnt aber der Apostel seinen Blick auf die Verhältnisse der Gemeinde im Jammertale zu richten, und mit reichem Griffel die Züge des heiligen Lebens der Christen im Verhältnis zu all dem Ungemach und Leid des irdischen Lebens zu entwerfen. Auf einen Vers erlaube ich mir heute, so herrlich und schön sein Inhalt ist, weniger Rücksicht zu nehmen, weil er ganz in den Gedankenkreis der nächsten Sonntagsepistel gehört, und bei dieser seine Stelle und Würdigung finden kann. Ich meine den Vers: „Segnet die euch verfolgen, segnet, und fluchet nicht.“ Ob ich ihn aber gleich für ein nächstesmal aufspare, kann ich ihn doch auch heute nicht ganz missen, da gerade er dem ganzen dritten Teile unsres Textes wie eine Antiphon dem Psalme, und wie eine Ueberschrift dem ganzen Vortrag diente. Bereits merkte eben damals die Welt, daß im Christentum eine Macht auf ihr Gebiet getreten war, die sich mit ihr und ihren Zwecken nicht vereinen, sich ihr auch nicht unterwerfen ließ, sondern mit gezogenem Schwerte dastand, Land und Leute zu erobern. Bereits entwickelte sich der große Kampf der Geschichte, und die Zeit wurde immer mehr eine Zeit der Verfolgung. Und weil das immer mehr der Fall war, so bedurfte es auch immer mehr die Vermahnungen, die der Apostel in unserm Texte gibt. Das Leben wurde schwer, die Leiden groß, die Gegenwart drückend. Wo soll man Kraft hernehmen, wie hindurch kommen? Es bedarf eine Freude, wenn

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/111&oldid=- (Version vom 1.8.2018)