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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

des HErrn und im Leben Gemeinschaft mit denen, welche sie ehedem für geringes Volk geachtet, und zu denen sie sich nicht haben vergleichen laßen. Und wie der Verfolger sie alle gleich achtet um ihres Glaubens willen, so machen sie sich alle gleich durch die Liebe, der Große neigt sich zu dem Kleinen mit Freuden, und o Wunder, der Kleine gewöhnt sich an den Großen, der Geringe an den Vornehmen, keiner beschwert den andern, und alle haben sie denselben Sinn gegen einander, – und „keiner hält sich selbst für klug“.

 Ehe ich schweige, bewundre ich diesen Schluß. Alles was in der ganzen Epistel der Apostel gesagt hat, kann einer auf sich nehmen und darnach jagen, wenn er die Erlaubnis hat sich am Ende bei all’ diesem Verhalten für recht klug zu halten, wenn er im innersten Winkel seines Herzens darf niedersitzen, die Hände in einander schlagen und sich, wenn auch nicht für beßer und gerechter, aber doch für klüger halten als die andern, die andre Wege gehen, und in ihrer Thorheit das Ziel verfehlen. Erbärmliche jämmerlichste Selbstsucht, letzte und geringste die es gibt, und doch beliebt allenthalben, sich selbst für klug zu achten, und am Ende sogar auf Gottes eigenem steilen Pfad doch die eignen Wege zu gehen, doch immer wieder sich und die eigne Absicht und das Ziel der klugen Selbstsucht mit einzumengen in den Heilsweg Gottes, und nicht zu merken, daß man damit sich um alle Frucht und allen Lohn der Zeit und Ewigkeit bringt. Dagegen aber, o herrliche Vollendung, unsichtbare, verborgene, von Gott geliebte, schönste Demut, wenn man bei allem Gehorsam gegen des Apostels heiliges und wunderschönes Wort am Ende niederfällt, nicht die eigne Weisheit preisend, sondern Gott anbetend für Seine gnädige Offenbarung und selige heilige Führung. O was für ein Glück ist das, seiner so los zu werden, daß man sich auch nicht mehr selbst für klug hält, sondern recht aufrichtig arm und ein purer Schüler der göttlichen Gnade wird, hocherfreut in den Fußtapfen der Apostel des Lammes zu gehen. –

 Hie bin ich endlich am Ende, mit dem Texte verstummt die Predigt. Acht und zwanzig heilige apostolische Gedanken und Sätze habe ich euch vorgeführt, den mannigfaltigsten und reichsten Text in seiner Art, welchen das ganze Kirchenjahr bietet. Nicht habe ich Zeit mehr, euch nach Würden zu vermahnen, daß sich ein jeder sein Almosen aus diesem Reichtum nehmen und ihm nötige Gaben und Ermahnung wählen möge. Aber Gott sei uns allen gnädig, und wenn unsre Seele in unsrer Armut seufzt, und unser Gewißen uns schlägt, weil wir von einem HErrn, der so reichlich zu geben bereit ist, in so vielen Jahren so wenig empfangen haben, so thue Er mit uns über alles Bitten und Verstehen, über und wider alle unsre Würdigkeit, und schenke uns aus Seiner Fülle ein Kleinod nach dem andern, auf daß wir’s Ihm wiederbringen zum Danke, und Ihm opfern was Sein ist. Amen.




Am dritten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Röm. 12, 17–21.
17. Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen jedermann. 18. Ist es möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden. 19. Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn; denn es stehet geschrieben: Die Rache ist mein, Ich will vergelten, spricht der HErr. 20. So nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn. Wenn du das thust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammlen. 21. Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

 WEnn ich, meine lieben Brüder, die heutige Epistel mit dem heutigen Evangelium in eine Beziehung setzen sollte, so würde mir das nicht ganz leicht werden. Die Epistel handelt ganz vom Adel des

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/114&oldid=- (Version vom 1.8.2018)