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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

christlichen Benehmens und zeigt denselben hauptsächlich in der Feindesliebe. Dagegen das heutige Evangelium legt uns zwei Heilungen des HErrn JEsu vor, die eines Aussätzigen, geschehen nach gehaltener Bergpredigt, beim Gang vom Berge herab, und die Heilung des gichtbrüchigen Knechtes des Hauptmanns von Kapernaum. Nun ist es zwar allerdings richtig, daß Christi Benehmen bei diesen Heilungen sehr edel ist, ja viel mehr als edel, majestätisch, königlich und göttlich. Auch kann man sagen, Er habe die heilsamen Wunder, von denen im Evangelium die Rede ist, und alle Seine Wunder an Menschen gethan, die man unter die Klasse Seiner Feinde rechnen könnte, obwol sie Ihn suchten und Seine Hilfe begehrten; denn allerdings sind sie ja alle Sünder und widerstreben Ihm alle mit ihren Sünden. Man könnte allenfalls auch noch auf die Priester hinweisen, denen sich der heil gewordene Aussätzige zum Zeugnis vorstellen soll, und könnte besonders in ihnen Feinde sehen, gegen welche JEsus Christus schön und edel handelt.

 Jedoch muß ich gestehn, daß mir diese Annäherungsversuche der beiden Texte zu künstlich und zu gesucht erscheinen, wie sie denn auch aus dem Bestreben hervorgegangen sind, die in der Epistel ausgesprochenen sittlichen Grundsätze im Evangelium wieder zu finden, während es doch würdiger erscheint, den Nachklang des Evangeliums in der Epistel zu suchen. Wollte man nun die letztere Regel festhalten, so könnte man allenfalls das folgende sagen. Im Evangelium erscheinen uns zwei Beispiele eines außerordentlichen Glaubens. Namentlich von dem zweiten sagt der HErr: Er habe solchen Glauben in Israel nicht gefunden. Es würden überhaupt vom Morgen und Abend viele Heiden kommen und mit den Erzvätern des heiligen Volkes im Himmelreich sitzen, während die geborenen Kinder des Reichs, die Israeliten, in die äußerste Hölle verstoßen sein würden. Der HErr zeigt also da, wie der Glaube ein größerer und seligerer Vorzug sei, als die irdische Abstammung der Juden. So wie nun der Glaube im Evangelium höheren Adels ist, als auch die edelste menschliche Abkunft, die von Abraham, Isaak und Jakob; so zeigt auch die Epistel ein adeliges Benehmen, durch welches der Mensch sich als ein Kind des höchsten Vaters ausweist und allen Glanz des Judentums, geschweige des Heidentums überstrahlt.

 Auf diese Weise reichen sich, wie mir scheint, die beiden Texte die Hände, und ich hoffe durch diese Bemerkungen euch wenigstens in so weit vorbereitet zu haben, daß ihr nun gerne mit mir in den edlen Paradiesgarten der Epistel hineintretet, um seine Früchte zu genießen. Der aufmerksame Hörer kann übrigens bei der Ankündigung meines Thema’s oder vielmehr des Thema’s unsres Textes sich ein wenig befremdet gefühlt haben, weil er vielleicht nicht auf der Stelle erkannte, wie ich sagen konnte, der Text handle vom Adel des christlichen Benehmens, da doch beim Verlesen desselben gewis keine Sylbe vom Adel des Benehmens, von edlem oder schönem Benehmen redet. Dieses Befremden wird auch dadurch keineswegs gemindert werden, daß ich euch die Worte anzeige, in denen ich, obgleich sie nicht völlig am Anfang des Textes stehen, sein Thema finde. Es sind nemlich diese „fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen jedermann.“ Indes ist mir doch so wenig bange, mich vor euch zu rechtfertigen, daß ich es sogar wage, für einen Augenblick das Befremden noch zu verstärken, indem ich euch dicht neben der schon gelesenen Stelle eine andre lese und als eine Parallelstelle dem Wort und Sinne nach bezeichne, an welcher ihr vielleicht nicht so gar schnell das Parallele, Aehnliche, ja Gleiche findet. Die Stelle, welche ich meine, findet sich 2 Cor. 8, 21 und lautet so: „Wir sehen darauf, daß es redlich zugehe, nicht allein vor dem HErrn, sondern auch vor den Menschen.“ Das Wort, welches Martin Luther in unserm Texte mit Ehrbarkeit, in der Parallelstelle aber mit redlich übersetzt, ist nemlich eben das, welches man in dem neueren Deutsch mit edel oder geradezu mit schön übersetzen würde. „Fleißiget euch des Edlen gegen alle Menschen,“ lautete darnach unser Text, und seine Parallelstelle 2 Cor. 8, 21: „Wir fleißigen uns des Edlen, nicht allein gegen den HErrn, sondern auch gegen Menschen.“ Bei dieser getreuen Uebersetzung werdet ihr nun allerdings einsehen, meine lieben Brüder, daß die beiden Stellen nach Wort und Inhalt parallel sind, und mir bei einem Blicke über den Text hin vielleicht Recht geben, wenn ich die bezeichnete Stelle für die allgemeine nehme, und alles Uebrige

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/115&oldid=- (Version vom 1.8.2018)