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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

diesem Hauptgedanken untergeordnet finde. Es ist doch auch in Wahrheit so: der Apostel zeigt in unserm Texte das wahrhaft Edle und Schöne des christlichen Benehmens in der Feindesliebe. Die Feindesliebe gibt ihm zur allgemeinen Ermahnung das hohe, mächtig anziehende Beispiel. 2 Cor. 8 ist es ein anderes Beispiel, das er vorlegt, nemlich das wahrhaft edle Benehmen im Betreff der Verwaltung fremder Güter. St. Paulus hat dort für die Heiligen in Palästina eine Collecte gesammelt; sie ist groß und reichlich ausgefallen, und nun wendet er allen Fleiß daran, die gesammelte Summe auf die öffentlichste, der Ueberwachung und Rechenschaft zugänglichste Weise an ihren Ort zu bringen. Er könnte doch jedenfalls das Vertrauen der Gemeinde in Anspruch nehmen, aber das thut er nicht; er wählt nicht das Verfahren, bei welchem die andern die Gelegenheit haben, sich ihm gegenüber edel und vertrauensvoll zu beweisen, sondern das demüthigste, mühevollste, bei aller Anspruchslosigkeit aber sicherste und geschickteste, um vor aller Augen sich zu bewähren. Ich gestehe es euch, meine lieben Brüder, daß es mir eine wahre Freude ist, vom edlen Benehmen nach Gottes Wort mit euch zu sprechen. Ich finde es ganz richtig, wenn man sich protestantischerseits geweigert hat, über die Gebote Gottes noch evangelische Räthe stellen, die zu einer höhern Vollkommenheit führen sollen. Es müßen alle das gleiche Ziel der Vollkommenheit haben, man kann nicht bei einem mit der minderen Stufe zufrieden sein, während man von dem andern das höhere verlangt; ein solcher Unterschied, wenigstens so fern er unter den Menschen eine niedrigere und höhere Klasse setzte, käme doch nicht aus der Liebe, die da weiß, daß wir alle von Einem Schöpfer stammen und zu Einem ewigen Vaterhaus berufen sind. Auf der andern Seite aber ist es doch wahr, daß die innere geistliche Stufe der Menschen eine sehr verschiedene ist, nicht weil es der HErr im Himmel so haben will, sondern weil es durch der Menschen Verschulden so geworden ist. Wer könnte es denn leugnen, daß es unter den Menschen, so wie sie sind, geringere und bedeutendere, niedriger und edler gesinnte gibt? Kann man doch nicht einmal leugnen, daß manche so gewohnt sind, mit dem Geringen und Unedlen sich genügen zu laßen, daß sie sich sogar schämen, zu einer höheren Stufe oder geistigeren und geistlicheren Bildung vorzuschreiten; daß sie sich mit einer gewissen Scham weigern von den Lagern der Niederträchtigkeit aufzustehen und das Edlere zu suchen. So bleibt der Landmann in unsern Gegenden, wenn er längst schon christlich geworden ist, und der Geist in ihm wohnt, dennoch unbeweglich im Schmutze seines Hauses und Haushalts, in der Unbeholfenheit seiner Sitte und Geberde und in der abscheulichen Aussprache und Betonung seines von Gott geschenkten schönen Dialectes. Er schämt sich der Reinlichkeit, der angenehmeren Sitte und Geberde und der richtigen Aussprache seines Dialectes, und erklärt es geradezu für Hochmut, wenn einer die angeerbte und anerzogne verderbte Weise der Väter gegen das Edle und Schöne eintauscht. Keusch, ehrlich und treu läßt er sich durch’s Evangelium machen, sich aber auch zum edleren Wesen und heiliger Bildung fortführen zu laßen, weigert er sich in verkehrter Demut. Er gleicht darinnen den Indianern Nordamerikas, die sich dem Geiste JEsu Christi, welcher sittlich umgestaltet, oft nicht entziehen, aber aus ihrem rohen Naturzustande zu dem edleren Leben der christlichen civilisirten Völker sich so ungerne erheben laßen, daß sie sich lieber mit ihren Büffeln und Schlangen immer weiter nach Westen zurückziehen, als daß sie dem Zuge nachgeben, der sie ergreifen und den christlichen Völkern des Ostens ähnlich machen will. Und doch sagt der Apostel, also der Geist Gottes, daß man sich eines edlen Benehmens gegen Gott und Menschen fleißigen solle, und es kann daher gewis nicht christlich, nicht Gotte wolgefällig sein, wenn man sich selbst eine Grenze und Stufe setzen will, bis zu welcher man dem Geiste Gottes zu folgen entschloßen ist, anstatt sich ihm rücksichtslos zu übergeben. Es wäre mir unlieb, meine theuren Freunde, wenn ihr aus meinen Reden schließen wolltet, daß es mein Wunsch sei, der Landmann möge die Sitten des Städters an sich nehmen. Da ich beiderlei Sitten kenne, lobe und tadle ich am Ende beide in gleichem Maße. Ja in manchem Betracht finde ich die Sitte des Städters unedler als die eurige, und habe mich je und je dagegen erklärt und gesetzt, wenn ich merkte, wie allmählig das städtische Wesen aufs Land heraus zieht und den Landmann vollends verdirbt. Eure Tracht, eure Lebenseinfalt und Bedürfnislosigkeit, die Zweckmäßigkeit eurer Lebenseinrichtung für euren herrlichen Beruf, eure Sprache und euren Dialect, und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)