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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der pilgernden und streitenden Kirche das helle Licht dieses Tages bereits vom Himmel fällt? Warum? Weil die erste Benützung der Zeit fehlt, weil du die Nacht und Finsternis lieber hast, als das Licht, weil du die Erkenntnis des Reiches Gottes verschmähst und die Augenlieder deines Geistes schließest vor dem schönen Licht des ewigen Reiches. Es wird dir ja gepredigt, was ewiges Heil bringt, widersteh nicht, erkenn deine Zeit, daß die Stunde da ist, aufzustehn vom Schlafe, allem Greuel des Heidentums abzusagen und dich dem Reiche Gottes hinzugeben. Nur du selbst hinderst dein Glück, deine Seligkeit, weil du den Morgen nicht benützest und am Tage schläfst.

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 Indes, wenn einer am Morgen, nachdem die Nacht von hinnen, nichts thun wollte, als die Augen öffnen und sehen, und beim steigenden Tage das Schauen und Wachen des Auges die einzige Benützung der Zeit sein sollte, so würde doch jeder Verständige ob einem solchen Beginnen den Kopf schütteln, jedermann müßte es misbilligen. Die Benützung der Zeit erfordert mehr. Du liegst auf deinem Lager bei Nacht, bist ausgezogen oder hast dein Nachtkleid an, deine Decken und Betten liegen über dir und hüllen dich ein. Könntest du aber so wie du daliegst, aufstehen und hinausgehen und dich sehen laßen vor den Leuten? Nicht wahr, du könntest nicht, du wolltest nicht, du würdest dich schämen. So ist man wol bei Nacht; aber wenn der Morgen kommt und der Tag anbricht, da merkt jeder, „er müße ehrbarlich wandeln und umhergehen als am Tage.“ Darum wäscht und schmückt und kleidet er sich, und wenn er ein Kriegsmann ist, zieht er die Waffenrüstung an, die sich fürs Licht geziemet. So thut jedermann am Morgen, so geht jedermann dem Tag entgegen. An der Hand des Gleichnisses lehrt nun der Apostel weiter, wie man seine Zeit benützen und dem Tage der Ewigkeit, dem ewigen Reiche Gottes entgegengehen müße. Und zwar bleibt der Apostel nicht streng bei unsrem Gleichnis, nicht bei den Nachtkleidern und bei der Ruhe; sondern er geht ein in den Misbrauch der Nacht und in all das Böse eines nächtlichen Lebens, das für den Tag noch weniger paßt, als Nachtgewänder, das man ohne Zweifel dem wolgeziemenden und anständigen Tagesleben für weit widersprechender und widerstrebender erkennen muß, als das nachläßige und mangelhafte Gewand des Schläfers. Es werden manche unter euch, ach, es ist jämmerlich zu sagen, mit dem Apostel nicht zusammenstimmen, wenn er nun nach einander ansagt, welcher Wandel wol mit der Nacht des Heidentums, aber nimmermehr mit dem Morgen und Licht des ewigen Tages und Reiches Christi zusammenstimmt. Was er für heidnisch, für unchristlich, für verwerflich, für ungeziemend erkennt, das wollen viele unter euch rechtfertigen oder doch entschuldigen, oder mindestens nicht als so ganz und gar verwerflich anerkennen, nicht als so gar ein heidnisch nächtlich Leben. Man sollte es freilich nicht denken, wenn man die Namen hört, diese deutschen Namen, die am Ende, so tief aus dem Schwarzen sie Luther gegriffen hat, doch theilweise noch ehrbarer klingen, als die griechischen Worte St. Pauli. Man sollte es nicht denken, daß „Freßen und Saufen, Kammern und Unzucht, Hader und Neid“ nicht für heidnisch, nächtlich, verwerflich und verdammlich erkannt, sondern übersehen, gering geachtet, entschuldigt und gar gerechtfertigt werden. Man sollte es nicht denken, aber es ist so. Und es ist so bei den Menschen von der verschiedensten Bildung. Der rohe Stallknecht und der fürstliche Kammerjunker, die niederträchtige lüderliche Dirne, wie sie auf dem Lande so oft zu finden ist, und das Edelfräulein im Palaste, und was ich alles für Gegensätze möchte finden und erdenken, Gegensätze der Erkenntnis und Bildung, des Vermögens und des Standes, es bleibt sich doch überall gleich, und findet sich bei verschiedenen Ständen und Klassen dasselbe nächtliche Wesen unter verhüllenden Namen. Sie wollens nicht leiden, daß es so ist, sie wollen Unterschiede finden, die Reichen und Gebildeten und Edlen. Bei gleichen Sünden, bei Freßen und Saufen, in Kammern und Unzucht, bei Hader und Neid, wobei sie’s vor Gott verschulden, wie irgend wer, sind sie doch noch Pharisäer, die beßer sein wollen und weit erhaben über die stinkenden nächtlichen Pfützen des gemeinen Volkes in Städten und auf Dörfern, das demselben Belial huldigt. Aber leid es nicht, duld es nicht, sag’s ihnen allen und jeden, mal ihnen ihre Werke der Nacht mit Farben der Nacht, schrei ihnen die derben Namen des Apostels in ihre Ohren, denn sie hören hart, und es ist kein Wunder. Es ist wahrlich kein Wunder; denn man mußte ja auch die Gemeinde zu Rom, die erste Christengemeinde dort selbst, diese Gemeinde voll Gaben,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 005. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)