Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/124

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

es wahr, daß alle guten Früchte nicht Erzeugnisse eines Kampfes sind, sondern die stille Wirkung einer innern, übernatürlichen Gnade. Der Trieb und das Werk des heiligen Geistes ist still, und wie die Blüten und Früchte geräuschlos wachsen, so offenbart sich alles Gute im Frieden. Aber der Mensch trägt seine alte Natur noch in sich: und wie sich Gottes Geist in der neuen kund gibt und zur Verklärung treibt, so vereinigt sich der Geist der Bosheit oftmals mit der alten Natur, regt alle bösen, niedern Kräfte derselben auf, legt sich dem Fortschritt der Verklärung in den Weg und erzeugt in uns einen Kampf und Streit, so daß die friedevollen Früchte der Gerechtigkeit nicht kampf- und mühelos wachsen und reifen können. Und weil das so ist, so tritt der HErr hilfreich in unsern Kampf ein, und ruft uns durch seinen Apostel zu: „Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

 Wer im Falle des Kampfes, wenn ihn der Satan zur eignen Rache und grimmigen Festhaltung der Feindschaft zu reizen sucht, je einmal durch einen Seelsorger oder Freund zur rechten Stunde das apostolische Wort zur Beständigkeit und Treue vernommen hat, der weiß auch, was so ein gewaltiges Wort für eine Hilfe thut. Und wer je die Hilfe gehorsamlich angenommen und sich der Liebe zugeneigt und die Reizung des Bösen überwunden hat, der weiß auch, was für ein süßes, himmlisches Leben es ist, das zu können, und in solcher Uebung zu stehen. Wenn man von irgend einem guten Werke sagen kann, was Jakobus in seinem Briefe Kap. 1, 25 überhaupt von dem Gehorsam des göttlichen Wortes sagt, nemlich, „daß man „selig“ ist in seiner That“; so kann man es von den Werken der Feindesliebe sagen. Der Friede Gottes geht mit denen, die ihre Feinde lieben. Und eine Freudigkeit zu Gott sammt Lust und Muth zu Ihm, durchdringt die Seele deßen, der sich den finstern Mächten des Zornes und der Feindschaft entwindet, und unbekümmert um Dank und Undank mit seinen Feinden den liebevollen Weg geht, den Gott mit uns einschlägt, gnädig und hold ist den armen Beleidigern, so lang noch in ihnen der Geist ist, und der Odem ein- und ausgeht.

 So lange ich unter euch predige und des HErrn Werk treibe, habe ich immer die Erfahrung gemacht, daß ich von zweien Tugenden nicht reden kann, ohne daß mir das Herz warm wird, und meine Seele lebendig wird. Die beiden Tugenden sind: die Liebe zu den Eltern und die zu den Feinden. Und wenn ich von wegen der elenden Art, die mir anhängt, dem heiligen Zorne selten zugänglich gewesen bin, und ich mir die träge Nachläßigkeit und Gleichgiltigkeit vielfach vorzuwerfen habe, so hat michs doch oft wie Zorn und Feuer durchzuckt, wenn ich gottlose Kinder vor mir sah, oder ein Zeuge sein mußte von der verdammten höllischen Lust der Feindschaft und der wilden Rachbegier, die euch so oft um der nichtswürdigsten Ursachen willen ergreift. Ihr, von Jugend auf genährt und groß gezogen durch die Gnade Deßen, den ihr stündlich mit euren Sünden beleidigt, in der ununterbrochenen Erfahrung der himmlischen Feindesliebe des Dreieinigen, lernt so gar wenig vom Beispiel eures HErrn und Gottes, grollet und murret, scheltet und streitet, haßet und neidet, und prozeßiret und kämpfet und brennet in dem höllischen Feuer eures Grimms und eurer Bosheit bei jedem kleinen Anlaß. Wie wenn es ein Glück wäre, im höllischen Feuer zu brennen, taumelt ihr ein ums andermal hinein, lebet in einer beständigen Aufregung, werdet dabei immer mismuthiger, unglücklicher, boshafter und schlechter, verläugnet und verlieret endlich alles Gefühl für den Adel der Sanftmuth und Demuth, die Christo nach, willig untergeht, um dermaleins mit Früchten der Bekehrung und Rettung andrer wieder aufzustehn. „Sanftmuth sieget, Demuth überwindet“ – eine Wahrheit, die man in der ganzen Kirche singt und sagt! Und ihr nehmet sie nicht an, sondern ihr liebet die Werke der rohen, boshaften Finsternis mehr, denn das Licht. Kraft des mir zustehenden Amtes, im Namen des HErrn, der für euch geblutet, und eure Seelen erkauft hat, ermahne ich euch hiemit zum Gehorsam gegen Gottes Wort und warne euch vor den zeitlichen und ewigen Folgen des Ungehorsams. Der HErr stehet und richtet; seinem Gedächtnis entfällt nichts, er ahndet alte Schulden und Sünden. Wagt es mit Ihm nicht; es ist Wahnsinn, wider Gott zu streiten. Da der Geist des HErrn und Seine Gabe in uns ist von der Taufe her, und die Stimme des göttlichen Wortes sie aufweckt und ihre Brunnen öffnet, so können wir, was wir von Natur nicht können, nemlich Gutes thun. So laßet uns also Gutes thun, Gottes Werke wirken, Gottes Wege

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/124&oldid=- (Version vom 1.8.2018)