Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/129

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

beides wählen, wenn ich eines will, und kann ich anders als beides bekommen, wenn ich eines bekomme? So kann und darf und soll ich wohl mit den Gedanken beides scheiden, Leib und Seele, aber auch beides vereinen in meiner Begier, beides lieben und wünschen.

 Es sind aber allerdings die beiden Gedanken sehr werth und würdig, gesondert betrachtet zu werden. Wenn wir die Sonderung vorgenommen haben, wird uns die Vereinigung desto beßer gelingen, daher wir auch die nöthige Zeit und Aufmerksamkeit den beiden Gedanken noch zukehren wollen.

 Die Liebe ist eine Vollstreckerin der Gebote und zwar eine solche, die schon aus Gründen der Nächstenliebe zu dem HErrn spricht: „Dein Joch ist sanft und deine Last ist leicht.“ David wandelt auf der Höhe seiner Burg, unbewachten Gemüthes; in ihm regt sich die böse Lust, und der heilige große König geräth in Widerstreit gegen das ihm wohlbekannte sechste Wort vom Sinai. „Du sollst nicht ehebrechen,“ spricht dies Wort. Regt sich in Davids Seele die Liebe zu Gott dem HErrn, so schließt sich sein Auge für Bathseba, der Nebel der bösen Lust sinkt hin, und aus ist der Kampf. Ebenso, regt sich in ihm die Liebe zu Uria dem Mann Bathsebas oder die geistliche Liebe zu Bathseba selbst, so legt sich auch der Sturm und das Waßer wird spiegelglatt. Regt sich hingegen nur die Gerechtigkeit oder die Klugheit oder die Liebe zum eigenen innerlichen unangefochtenen Dasein und Seelenzustand, so gibts einen harten Strauß, und ob auch dem armen Fleische die Frucht der Enthaltung abgezwungen wird, so ist es doch eine bittre Frucht, die Wogen der Aufregung legen sich schwer, können sich schnell wieder erheben, und bringen auch, wenn sie sich legen, die Seele doch nicht zur Ruhe, laßen den Seelenhimmel trüb, bereiten nicht die reine Lust des guten Gewißens, weil es ohne Wunden und Striemen nicht abgeht. „Die Liebe thut dem Nächsten kein Böses,“ sie thuts nicht, sie mag nicht, sie will nicht, und sie ist mächtig genug, zu thun, was sie will; alles andre aber ist zu schwach, wenn die Hölle mit ihrer Anfechtung kommt, und der Geist des Menschen umnebelt wird. Ebenso ist es mit den andern Geboten, mit dem Gebote: „Du sollst nicht tödten, nicht stehlen, dich nicht laßen gelüsten.“ Es ist und bleibt in den Anfechtungen des Christen nur der Liebe, der Gottesliebe und Bruderliebe ein kurzer Siegeskampf beschieden; mühselig aber, ächzend und elend ist jeder Kampf mit der pur menschlichen Kraft guter Grundsätze und Vorsätze. Wer ihn wagt, geht eine dornenvolle Bahn und seine Seele leidet Schiffbruch, auch wenn sie landet. Wer es erfahren hat, der weiß es, und wer je irgend eine Liebe, von der größten und besten gar nicht zu reden, in seinem Herzen getragen hat, der kann es aus Vergleich der geringeren Liebe mit der größeren gar wohl schließen, wie wahr es sein muß. Auch der Heide hat seine Tugend. Wie große Beispiele aus der Geschichte der Römer und Griechen erzählt man hie und da in Schulen der Jugend zur Nachahmung! Auch der Heide kennt eine Entsagung, auch der Heide eine Aufopferung. So ohnmächtig der Wille des Menschen im Geistlichen ist; so nichts er leistet, wenn es gilt einen Sünder selig zu machen; so ist und bleibt es doch immerhin eine gewisse Sache, daß der menschliche Wille auf Erden und in allen menschlichen Dingen das größte und unter allen vorhandenen Kräften die wirksamste ist. Sieh einmal hin, was der Mensch im Bösen vermag, und du wirst erstaunen über die Macht seines Willens. Sieh aber auch hin auf dasjenige, was er nicht im Bösen, sondern in dem ausrichtet, was er nach seiner natürlichen Einsicht für gut hält, und auch da wirst du erstaunen, welcher Thaten und Erfolge er fähig ist. Das „einigermaßen“ der augsburgischen Confession, wo sie vom freien Willen redet und sagt, der Mensch habe einigermaßen einen freien Willen in den Dingen, die der Vernunft unterworfen sind, ist sehr gering, ein außerordentlich kleines Maß, wenn von göttlichen Dingen die Sprache ist; aber es ist auch in anderem Betracht ein großer, weiter Kampfplatz aller Heiden und aller von Gott entfremdeten Menschen, auf welchem sich die ganze Weltgeschichte mit allen berühmten Thaten und großen Namen bewegt hat und noch bewegt. Allein was ist die Tugend des Heiden, auch wenn sie mit dem natürlich größten Wohlwollen verbunden ist? An ihrem Innersten nagt der Wurm der Selbstsucht, ihr Ziel und Kleinod ist klein, ihr Gang ist schwer und wie schon mehrfach gesagt, ein Kampf. So wird zwar von vielen, welche das Christentum nicht richtig kennen, auch die christliche Tugend bezeichnet. Da singt einer, der selbst an den Altären stand: „Tapfer ist der Löwen-Sieger, tapfer ist der Weltbezwinger, tapfrer

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/129&oldid=- (Version vom 1.8.2018)