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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

verstehen, in den Orden der gerüsteten Streiter Christi einzutreten und seine Zeit zu benützen. Viel lieber hört mancher ein anderes Wort unsres Textes, das auch den Gegensatz zur Nacht einhält, aber viel friedlicher und nicht so kriegerisch klingt, ich meine das edle Wort: „Ziehet an den HErrn JEsum Christ.“ Allein, meine Brüder, das ist ein großer Irrtum, wenn man dies Wort für friedlicher gegenüber allen nächtlichen Werken ansieht, als das andere von der Waffenrüstung. Wenn der Apostel zu den Römern, zu offenbaren Christen, denen er selber viel Anerkennendes und Lobendes sagt, vermahnend spricht, sie sollen Jesum Christum anziehen, so muß er das in einem anderen Sinne thun, als man etwa dieselbigen Worte einem über seine Sünde tief betrübten, mit Christo noch nicht verbundenen Heiden zurufen kann. Dem armen Heiden gegenüber bedeuten die Worte allerdings nichts anders, als: „Zieh an den HErrn Jesum Christum zur Bedeckung deiner Sünde und weil dich dein Herz verdammt und verdammen muß, so sei dir der am Kreuze Hängende anstatt aller Gerechtigkeit,“ wie das auch so Propheten wie Apostel lehren. Dagegen aber der römische Christ, der längst getaufte, hat in diesem Sinne Christum längst schon angezogen, und wenn ihm, gegenüber den nächtlichen Werken, die der Apostel nannte, die Worte zugerufen werden: „Ziehet an den HErrn Jesum,“ so ist das nicht mehr im Sinne der zugerechneten Gerechtigkeit des HErrn gesprochen, die ewigen Ruhm hat und behalten soll, sondern im Sinne der Verklärung unsres eignen Lebens in das Angesicht Jesu Christi. Es ist ein Christus, den wir als unsre Gerechtigkeit und als unsre Heiligung anziehen, aber es ist eine verschiedene Frucht, die Er uns in der Gerechtigkeit und Heiligung bringt, eine verschiedene Frucht, die wir aber nichts desto weniger dahin nehmen und uns aneignen müßen, eine wie die andere. Diese Aneignung aber, oder mit anderen Worten diese Verklärung unsrer Seele in das Angesicht Jesu ist in der Erfahrung und im Leben keineswegs eine Sache, die so gar ruhig und vergnüglich, so gar fleischlich stille und behaglich wäre. Der HErr gibt uns freilich alle Seine Gnaden, auch die der Heiligung, in großer Stille und fährt nicht mit Feuer und Schwert daher, wenn er die Seelen will heiligen und verklären; nicht Er streitet, sondern wir, wir halten Widerstand, wir haben Schäden, Gebrechen, Wunden, Striemen und Geschwüre, die auch seinerseits eine andere Thätigkeit hervorrufen, als die bloß friedlich gebende. Der HErr kann durch unsre Schuld nicht geben, ohne zu nehmen, nicht heilen, ohne weh zu thun, und es wird durch unsre Schuld aus dem Geschäfte der Heiligung ein Streit, ein Krieg, von welchem die oben gebotene Waffenrüstung und die Hut gegen das von außen nahende, aufs neue versuchende heidnische Wesen nur ein Theil ist. Weit entfernt also, daß in den Worten vom Anziehen Jesu weniger Krieg und Streit läge, als in jenen vom Anziehen der Waffen des Lichtes, schließen sie im Gegentheil mehr in sich und öffnen für den, der seine Zeit benützen will, eine weitere Bahn, weil Wachen und Kämpfen gegen den immer neuen Andrang des heidnischen bösen Wesens weitaus nicht alles einfaßt, was zur Nachfolge Jesu, zu unsrer Verklärung in Ihm, zum Anziehen Seiner Person und Seines Wesens gehört. Wie ganz im Sinne der Heiligung und Verklärung die Ermahnung zum Anziehen Jesu zu faßen ist, sieht man auch aus dem Beisatz, den sie hat, denn es heißt: „Ziehet an den HErrn Jesum Christ und wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde,“ oder „daß vor lauter Beachtung und Pflege des Leibes das Fleisch nur desto zärtlicher und lüsterner werde,“ durch lauter gute Pflege die Lüste desto mehr gehegt und gepflegt werden. Jesum anziehen ist also ein Gegensatz gegen alles weichliche, üppige, fleischliche Leibesleben. Wer Jesum anzieht, der erkennt nicht den Leib und sein Wohlsein als Absicht und Zweck des Lebens, sondern er hat höhere Ziele, denen auch der Leib unterthänig gemacht werden muß. Er sorgt schon für den Leib, aber so, daß er der Seelen Zweck nicht hindert, die Verklärung in Christi Angesicht nicht aufhält, er ordnet das ganze leibliche Leben so an, daß es dem Geiste dient, daß es bei Hut und Wacht und Kampf und Streit und Heiligung und Vorwärtsdringen zu allem Guten nicht hinderlich sei, sondern auch wo möglich förderlich.

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 Hiemit, lieben Brüder, vollendet sich die apostolische Unterweisung zur Benützung der wolerkannten Zeit. Wachen, die Nachtgeschäfte laßen, in Christi Streit gegen alle Nacht und alles Böse eintreten, den Christus, den man zur Gerechtigkeit schon in der Taufe angezogen, nun auch alle Tage zur Verklärung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 007. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)