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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und Seines Christus und Seines Geistes. Doch singen wir auch Oden, in Wahrheit geistliche, liebliche Lieder, besingen z. B. unsern Glauben, wenn wir anstimmen: „Es ist das Heil uns kommen her“, ermuntern uns zur Ergebung, wenn wir singen: „Befiehl du deine Wege“ u. s. w. Schade aber ist es, ja wahrlich sehr schade, und großen Verlust hat die Kirche, daß der Psalmengesang abgekommen ist, und bisher nur ganz dürftige Versuche gemacht worden sind, der Kirche ihr größtes und herrlichstes Gesangbuch, den Psalter, wieder in’s Herz und auf die Lippen zu geben. Es muß ja wohl auch wieder einmal anders werden. Psalm und Psalmentöne müßen nicht blos im Introitus des sonntäglichen Gottesdienstes, sondern in reicher ganzer Fülle wieder einkehren in das Haus des HErrn. Der Psalm in seiner Größe und Tiefe wird den Hymnus und die Ode wecken, und aus den von Gott eingegebenen Liedern zum Psalterspiele wird der rauschende Orgelton des Hymnus und die liebliche Weise der Ode wie neugeboren, frisch und jugendlich in immer neuen Gestaltungen in die Kirche eintreten.

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 Bei dieser Gelegenheit, meine lieben Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter, wo uns des Apostels Worte an die heilige Poesie der Kirche erinnern, kann ich es fast nicht laßen, einen Blick auf die weltliche Poesie unsrer Tage zu werfen, und euch ein warnendes Wort zuzurufen. Ihr wißt, daß es eine ganze Fluth von weltlicher Poesie gibt, und daß auch Christen des Lobes und Preises derselben voll sind. Man redet von einer klassischen Literatur der Deutschen, welche jeder gebildete Mensch kennen solle und müße, und deren Kenntnis und Würdigung von einem jeden verlangt werden müße, der irgend eine Stellung in der Welt einnehmen wolle. Ich weiß nicht, meine Theuren, ob mir widerfahren ist, was ich zu bereuen habe. Ich bin in dem aufgewachsen, was man so oft die klassische Literatur der Deutschen nennt und habe von dem Kelche dieser Süßigkeiten in früheren Zeiten oftmals in langen Zügen getrunken. Vergnügen habe ich wohl daran gefunden, ob aber Förderung, das ist eine andere Frage. Als der Ernst des Lebens immer größer wurde, namentlich aber in den Jahren 1848 und 1849, verlor sich auch mein Vergnügen; fast nirgends fand ich in dieser hochgerühmten Literatur die Grundsätze der Kirche Gottes, allenthalben entweder pur Welt oder ein jammervolles Gemisch von Welt und Christentum, und je länger ich betrachtete und erwog, desto mehr mußte ich mich entschließen, mein altes Urtheil von der weltlichen Literatur und Poesie meines Vaterlandes theils zu beschränken, theils umzuwandeln oder aufzugeben. Die Literatur, die Poesie der römischen und griechischen Heiden konnte ich schätzen wie Naturproducte eines schönen Landes, wie schönste Früchte und Leistungen der Völker, die Gott ferne von den Testamenten der Verheißung ihre eigenen Wege gehen ließ. Dagegen die weltliche Literatur und Poesie der Deutschen in ihrer theils gänzlichen Entfernung von Christo JEsu, theils aber lauen und halben Zukehr, vermochte ich je länger je weniger zu loben, am allerwenigsten aber als Bildungsmittel unserer Jugend zu empfehlen. Ich habe auch als Seelsorger allezeit gefunden, daß eine vorzugsweise Beschäftigung mit solcher Literatur und Poesie sich mit einer wahrhaft geistlichen Gesinnung nicht vereint. Es gibt Lebensstufen, auf denen man sich noch nicht entschieden hat für Christum und Sein ewiges Heil und deshalb auch nach solcher Speise greift. Vielleicht muß da der Seelsorger sich gedulden, schonen und warten, um nicht den irrenden Geist der Jugend zu verbittern und nur desto tiefer in das Meer des weltlichen Wesens hineinzustoßen; aber loben, billigen, zur Lectüre und zum Gebrauche dieser Literatur ermuntern kann er nicht. Welt ist allenthalben Welt, und wer Christo angehören will, kann sich die Mühe ersparen, durch’s Dornenland zu Ihm zu gehen. Seine heilige Poesie, Seine Psalmen, Hymnen, Oden, dazu die wunderbare Schönheit Seiner Gottesdienste, die heilige Liturgie der Kirche, die alle Poesie der Welt übertrifft, geben auch denen, die nie ihr Ohr dem Lied und Sang der Welt zugewendet haben, eine Bildung, die für Erd und Himmel ausreicht. Ich weiß nichts höheres, nichts schöneres zu nennen, als die Gottesdienste meines Christus. Da werden alle Künste des Menschen einig zur Anbetung, da verklärt sich ihr Angesicht, da wird neu ihre Gestalt und ihre Stimme, da geben sie Gott die Ehre, und der HErr thut ihnen nach dem Spruche: „Wer Mich ehret, den will Ich wieder ehren“. Ich weiß, meine Freunde, daß ich mit diesem Worte nach dem Geschmacke auch vieler Christen nicht rede, und es hat in meinem Leben Zeiten gegeben, wo mich

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/141&oldid=- (Version vom 1.8.2018)