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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

weggenommen. Es findet sich leider sehr oft, daß Männer, auch beßere, unter den Einflüßen des göttlichen Geistes stehende, ihren Frauen das Leben bitter und sauer machen durch unzufriedene Unruhe, durch gereiztes, leidenschaftliches, zorniges Benehmen und durch dieselben Sünden und Fehler auch zur Erziehung ihrer Kinder untauglich werden. Wie viele Familien und Häuser gibt es, in welchen man jenes scheue, unkindliche zurücktreten der Kinder vor den Vätern bemerken kann, von welchen man oft genug den richtigen Schluß auf eine lieblose, ungütige, bittere, gereizte Behandlung der Väter machen muß. Und wie oft kann man die Selbstanklage von Vätern hören, daß sie ihre Kinder nicht selbst erziehen, noch viel weniger selbst lehren könnten, sie seien zu ungeduldig dazu, sie wollten lieber einen Haufen fremde Kinder, als die eignen unterrichten und erziehen. Es mag wohl tief mit in der angebornen Selbstgerechtigkeit und dem angeerbten Hochmuth des Menschen liegen, daß ein Vater den eignen lieben Kindern so unnütz werden und so ferne treten muß. Da macht ein jeder an seine Leibeserben die größten Ansprüche, denkt sich dieselben geistlich und gemüthlich reich begabt, vergißt, wie schwer er sich selbst zu einiger Tugend und Tüchtigkeit hindurch gerungen hat, wie sauer er seinen Eltern und Lehrern geworden ist, und stürmt auf die armen Kinder ein, als wären sie bereits der unfruchtbare Feigenbaum, welcher dort bei Jerusalem die Menschen mit seinem frühen Laube täuschte. Unter solchen rauhen, rohen Vaterhänden werden dann freilich die armen Kinder nichts; scheu und schüchtern meldet der Sohn den Umgang des Vaters, und der Vater darf sich nicht einmal beklagen, weil ihm sein eignes Gewißen sagt, daß er selbst von allem die Schuld trage. Traurige Kinderzucht! Da weint die Hausmutter über den bittern Mann, die Kinder über den rauhen Vater, unglücklicher aber als alle ist er selbst, der Mann, der Vater, der die Seinen unglücklich macht und damit sich selbst. Wahrlich hier ist eine Einladung zur Buße für viele und zugleich eine Einladung zum Glücke für viele. Wie manches Haus gibt es, wo nur Einer sich bekehren darf, nemlich der Vater, so bekehren sich alle, und alle sind glücklich. Der dem Weibe seiner Jugend die bittern Reuethränen über die eingegangene unglückliche Ehe auspreßt und die Kinder seines Leibes zu keinem fröhlichen Dasein gedeihen läßt durch seine Sünde, kann auf einmal das Glück seines Brautstandes und die süßeste Kinderseligkeit herwiederbringen, so wie er aufhört, roh zu sein und die ungezogene, bübische Art mit jenem edlen und milden Wesen vertauscht, mit jenem heiligen Maße des Benehmens, welches dem Manne Liebe, Ehre und freudigen Gehorsam der Seinen gewinnt. Ich reiße mich los von diesem Wehepunkte vieler Familien, aber mit tiefen und heißen Wünschen der geistigen Genesung vieler Männer, und wende mich nun zum letzten Theile unsres Textes.

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 Dieser letzte Theil wendet sich an die Knechte und an die Herren, weitläufig, sorgfältig eingehend an die Knechte, kurz und kräftig an die Herren. Ihr wißet, meine lieben Brüder, daß in der heiligen Schrift unter den Knechten Sklaven gemeint sind, Leibeigene, nicht Miethlinge und Lohndiener, wie wir sie haben. Damit erkennet ihr aber auch, daß unser Text von einem Verhältnisse handelt, welches unter uns keine praktische Anwendung findet, nemlich vom Verhältnis der Leibeigenen zu ihren Herren. In unsren Gegenden gibt es bekanntlich keine Sklaven mehr. Wenn man auch versuchen wollte, die überaus schönen Worte des Apostels auf die bei uns bestehenden Verhältnisse zwischen den Hausvätern und ihren Dienstboten anzuwenden, so würde man es doch nicht durchweg zur Anwendung bringen können. Auf ein Verhältnis des freien Vertrages, wie es zwischen den Herren und Dienstboten unter uns besteht, paßen nun einmal diese Worte nicht, und ich fürchte, es ist eine rein vergebliche Mühe, die Anwendung, namentlich in unsern Zeiten, auf unsre Verhältnisse zu machen. Gewis ist der Stand der Knechte und Mägde ein sehr ehrenwerther; er könnte ein Stand der Erziehung sein für unsre reifere Jugend, ein Stand, der auch für Söhne und Töchter der gebildeten und höheren Stände, wenn er von ihnen gesucht und in rechter Weise benützt würde, großen Segen schaffen könnte. Es ist ein großes Unglück, daß der Lohndienst der Knechte und Mägde bei uns nicht so angesehen wird, daß kein Mensch aus Lust und Liebe in fremde Dienste geht, jeder sich nur unter dem Drang der Noth und Armuth in den Dienst anderer Familien begibt. Wie sich in andern Dingen an die Noth die Schlechtigkeit anhängt, so geschieht es auch bei dem Nothdienst der Knechte und

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/147&oldid=- (Version vom 1.8.2018)