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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wie unter allen Umständen im Umgang mit schwachen und irrenden Brüdern der Zweck sein müße, die Seelen zu gewinnen, wie man sein ganzes Verhalten so einrichten müße, daß andre selig und auf dem Wege zur Seligkeit gefördert werden können. Was er aber allen sagt, das bezieht er doch insonderheit auf sich. Das Kleinod, nach welchem er ringt, ist ein großes Erntefeld, das er dem HErrn darbieten möchte, wenn Er kommen wird mit Seinen Schnittern, um einzuheimsen und Seine Scheune zu füllen. Das Gelingen seines Amtes, für welches ihm der HErr nach dem siebenzehnten Verse den großen Lohn geben wird, verwandelt sich ihm selbst hier zum willkommenen Lohne, und sein ganzes Leben wird ihm zu einem Laufe nach diesem Kleinod, zu einem willkommenen Kampfe um diesen Preis, zu einer freudigen Anstrengung aller seiner Kräfte. Viele laufen mit Paulus nach einem ähnlichen Ziele, aber wer am meisten gewinnt, am meisten Seelen zu Christo bringt, dem winkt der ehrenvollste Kranz, und sein ist der herrlichste Lohn; und den muß St. Paulus haben, darnach arbeiten alle seine Kräfte; er selbst thut, was er den Corinthern befiehlt, er läuft also, daß er das Kleinod ergreifen kann. Daß er aber zunächst an sein eignes Ziel denkt und ihm die apostolische Vermahnung an alle zur eignen stärksten Vermahnung geworden ist, beweisen die folgenden Verse. Vom Wettlauf hat er Vers 24 das Gleichnis genommen, das veranlaßt ihn überhaupt an die Kampfspiele zu denken, und wie er sich zuvor gewissermaßen im Laufe gesehen hat, so sieht er sich nun im 25. Verse als einen Athleten an, als einen Faustkämpfer, als einen Ringer. Bei den griechischen Festspielen wurde nicht blos gelaufen, sondern es kämpften auch kräftige Männer mit einander, kleidlos, über und über mit Oele gesalbt, damit beides um so schwerer werden möchte, zu faßen und gefaßt zu werden. Zu einem solchen Kampfe bereitete man sich nicht allein durch Uebung im Kampf, sondern auch durch Enthaltung. Man lebte nicht wie andre Leute, man aß nicht was andre aßen, man hielt sich hart, man stählte den Leib und härtete ihn ab, um desto kräftiger und gerüsteter zum Kampf zu werden. Um einen vergänglichen Ehrenkranz zu gewinnen, begab man sich in eine lange, entsagungsvolle Vorbereitung; die Ehre eines einzigen Tages, ja einer Stunde schien der Aufopferung vieler Tage, Wochen und Monden werth zu sein. Das ist nun wieder dem Apostel ein Bild des eigenen Benehmens. Um seine Absicht zu erreichen, seinen Ehrenkranz zu gewinnen, recht viele Seelen dem HErrn darzubringen, kann er alles entbehren. Er ist ein Starker, aber er wirft die Stärke weg und wird wie ein Schwacher, um Schwache zu gewinnen. Er ist ein Freund des Gesetzes und die alttestamentliche Oekonomie des lebendigen Gottes, die Erziehung Israels durch das Gesetz vom Sinai ist ihm ein verehrungswürdiges Wunder und ein Ruhm seines Volkes; aber er legt den Ruhm ab, er spricht keine Silbe von ihm und naht den gesetzlosen Heiden allein mit Christo JEsu und Seinem Verdienst, auf daß er sie, die Gesetzlosen, gewinne. Das Gesetz auf Sinai ist ihm ein großes Wunder, aber er weiß, daß er dadurch nicht selig wird, es ist ihm ganz klar geworden, wozu das Gesetz gilt und nicht gilt; obwohl ein Jude und ein Jünger des Gesetzes, fühlt er sich doch frei vom Gesetze, er bedarf es nicht mehr zu seiner Seligkeit, und für ihn haben die Satzungen, seitdem er in Christo JEsu ist, den Werth verloren. Aber er wird den Juden ein Jude, er gebraucht seine Freiheit nicht; nicht Recht und Gewißen, sondern Liebe und Erbarmen und das Verlangen, viele Seelen selig zu machen, regiert sein Benehmen. So lebt er gar nicht seines Gefallens, sondern wie der Fechter und Ringer und Kämpfer begibt er sich in jede Entbehrung, in jede Beschränkung, in jede Aufopferung, und es wird ihm das alles leicht, weil ihn die zukünftige Herrlichkeit der unvergänglichen Krone schon jetzt erquickt und für jedes Opfer entschädigt. Zwar klingt auch dieser 25. Vers noch ziemlich allgemein, und wenn er ihn auch nicht mehr pur als Vermahnung an die Corinther faßt, sondern sich mit einbegreift, indem er spricht: „Jene enthalten sich, um einen vergänglichen Kranz zu gewinnen, wir aber um einen unvergänglichen“; so denkt er doch nicht rein an sich, sondern er will, daß alle Christen zu Corinth einerlei Gesinnung mit ihm theilen. Erst allmählich steigt er zu sich herunter und beschließt die Vermahnung, die er an andre begonnen, als ein rechter Prediger mit einer Anwendung auf das eigne Beispiel, mit einer Anwendung, die zwar andre nicht auf sich werden machen können, die aber St. Paulus ohne Hochmuth und Heuchelei im Hinblick auf seinen Wandel, seinen amtlichen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/152&oldid=- (Version vom 1.8.2018)