Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/153

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Kampf und Lebenslauf gar wohl machen kann. „So lauf ich denn also,“ spricht er, „nicht als aufs Ungewisse, ich fechte also, nicht als der in die Luft streichet, sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, daß ich nicht den Andern predige und selbst verwerflich werde.“ Da ist’s also offenbar, daß er von sich selbst spricht, beispielsweise allenfalls, aber nichts destoweniger vollkommen wahr und in allem Ernste. Er läuft zum Ziele, das er vor Augen hat, aber geraden Laufes mit angestrengter Kraft, nicht blos mit dem Verlangen es zu erreichen, sondern auch mit der Zuversicht und Gewisheit, daß ihm das Kleinod nicht entgehen werde. Er kämpft, aber es geht ihm kein Streich in die Luft, sein Arm ist gewandt, er trifft den Gegner so, daß er den Sieg gewinnen muß. Er ringt, der Feind dringt auf ihn ein, er spürt Stöße und Schläge, aber es thut nichts; er hat seinen Leib geübt, er hat ihn selbst gestoßen und betäubt, geknechtet und von seinem Willen abhängig gemacht, deshalb weicht er auch keinem Schlag oder Stoß, und hält den eignen Leib im Kampf so völlig stark und frei und tapfer der Mühsal dar, daß er von keinem Gegner wird vom Platz gedrängt und geworfen werden. Dies letzte Gleichnis von dem festen Stand im Kampfe wendet er am Ende noch auf sein sittliches Verhalten in seinem Amtsleben an.

 Er predigt andern und will sie Christo gewinnen, aber er weiß es auch, wie ihm der Teufel den Sieg entringen möchte. In allen Gemeinden, die er gründet, erscheinen die Neider und Feinde seiner Person, die ihm den Sieg verderben wollen und das Kleinod wegnehmen, nach dem er seufzt und stöhnt und keucht. Er weiß, wie sie ihm seine Ehre angreifen, seinen Charakter verkleinern, seine Gaben und Werke begeifern, und gehen sie darin auch durchaus mit Lügen um, so ist doch ersichtlich, wie sie sich freuen würden, wenn er einmal durch Unvorsichtigkeit und Mangel an Wachsamkeit in eine Sünde dahin fiele und sein Beispiel in Widerspruch mit seiner Lehre geriethe. Der Lehrer Leben ist des Volkes Evangelium, so sagt man, und nicht mit Unrecht. Da ist es denn des Widersachers Wille, das Leben der Lehrer zu einem schlechten Evangelium zu machen. Das will der Widersacher, aber sein Sinn ist dem Apostel klar, unverborgen ist ihm seine Absicht; deshalb steht er auf seiner Hut und wacht und betet und nimmt sich wohl in Acht, daß er seine Kleider nicht beschmutze, sondern das Westerhemd der Gerechtigkeit JEsu, das er in der Taufe angezogen hat, mit Ehren hindurchbringe bis auf jenen Tag.

 Ich denke, meine lieben Brüder, dieser Text zeigt uns einen Arbeiter im Weinberg, wie er sein soll, einen Arbeiter, auf welchen großer Lohn wartet, dem aber die Arbeit selber und der Erfolg sich zum Lohne verwandelt. Es kann dem Apostel nicht jeder Arbeiter nachgehen; nicht jeder kann und darf und soll in ein eheloses Leben und in die Arbeit ohne Lohn, in den Fleiß der Handarbeit und die eigne Versorgung seines leiblichen Lebens, in den unentgeldlichen Dienst an der Gemeinde seine Ehre setzen. Aber lauter, redlich, unschuldig, unbestechlich, guten Gewißens, aufopfernd, eingehend in alle Verhältnisse soll ein jeder Arbeiter im Weinberg Gottes nach Pauli Vorbild sein. Und wie wir alle zumal Glieder an einem Leibe sind und einander dienen sollen; so sollen wir auch nicht blos St. Paulo und den übrigen Hirten und Lehrern allein den Ruhm laßen, Arbeiter im Weinberg Gottes zu sein. Wir arbeiten alle an den Reben Christi, wir können ihnen schaden und sie verderben, ihnen nützen und sie fördern, und wie wir allzumal mit St. Paulo und ihren Hirten und Lehrern dieselbe Absicht und dasselbe Ziel haben, nemlich viele Seelen zu gewinnen, und die Glieder des Leibes Christi mehr und mehr vollzählig zu machen, so sollen wir auch alle zusammen nach diesem Ziele, wie nach einer Krone und dem Kleinod des Kampfpreises ringen, jede andre Lebensabsicht dieser unterordnen, unsren höchsten Fleiß der Kirche und ihrem Gedeihen widmen und unser äußeres und inneres Leben so einrichten, daß wir nicht unser Ziel verfehlen. Dazu leben wir, dazu haben wir unsre Kräfte Leibes und der Seele, und damit wir ja nicht unsern Beruf verkennen, so wird uns von Kranz und Krone, vom Kleinod und Lohn gepredigt, der unser harret, – aber auch allerdings von der Möglichkeit, Krone und Kleinod und den ganzen Erfolg unsrer Arbeit zu verlieren, wie uns davon der zweite Theil der Epistel das warnende Beispiel gibt.


II.

 Wenn wir in St. Paulo einen Arbeiter im Weinberg sehen, wie er sein soll, einen Arbeiter, welcher

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/153&oldid=- (Version vom 1.8.2018)