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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wie man das im 19. Kapitel der Apostelgeschichte ganz offenbar sieht. Es waren eines Apostels Zeichen bei ihm ebenso zu finden, wie bei den Zwölfen, wie denn das auch von den übrigen Aposteln anerkannt wurde, indem keiner von ihnen in die Grenzen seines apostolischen Territoriums übergriff, sondern sich, wie er, mit dem zugewiesenen Maße und Gebiete begnügten. Aber das alles tritt wie gesagt ganz und gar zurück und würde auch in dieser Kürze nicht von mir erwähnt worden sein, wenn ich nicht gedacht hätte, es könnte die Erwähnung davon die Wirkung desjenigen verstärken, was unser Text aus dem Leben Pauli ausdrücklich erzählt. Ich finde nemlich, daß die Kirche, die unsern Text für heute ausgewählt hat, ihn gerade da anfieng und da abschloß, wo es sein mußte, wenn die apostolischen Leiden Pauli recht glänzend in’s Licht gestellt werden sollten. Ist aber das der Fall und sollen wir eine Belehrung über Leid und Mühsal des Apostels empfangen, so wird dieselbe um so mächtiger unser Herz bewegen, je größer uns der Apostel rücksichtlich seiner natürlichen und geistigen Gaben und Vorzüge vor Augen steht. Bei ausgezeichneten und großen Männern und der Darlegung ihres Bildes und Lebenslaufes pflegt man gar nichts zu vermissen, wenn sie auch an Leiden und Mühseligkeiten nicht so hervorragend sind, als an Gaben und Thaten. Man ist überrascht, wenn man sieht, daß diejenigen, welche so ganz zur Arbeit und zu Thaten geschaffen scheinen, auch einen Beruf des Leidens hatten. Je größer der Beruf des Leidens neben dem der Arbeit hervortritt, desto höher an Werth steigt aber dann auch der Mensch; ja es scheint die höchste Stufe menschlicher Vollendung, wenn einer den Beruf großer Arbeit unter großen Leiden erfüllt. Das eben hatte ich im Sinn, da ich auch mit einigen Worten auf die Größe der Arbeit Pauli hinwies, bevor ich aus unserm Texte die Größe seines Leidenberufes darzuthun mich anschickte.

 Der Leidensberuf St. Pauli wird uns übrigens von einer doppelten Seite gezeigt. Im 11. Kapitel erscheint uns nemlich der Apostel in lauter solchen Leiden, welche mit der Ausübung seines apostolischen Berufes verbunden waren, und lediglich von den Menschen herrührten, unter denen er arbeitete. Dagegen sehen wir im 12. Kapitel vom 7.–10. Vers ganz andere Leiden angeführt, nemlich dämonische, von denen man am allerersten einen großen Propheten und Apostel frei und unberührt glauben sollte. Der große Säemann Paulus geht also über seine Saatfelder mit treuem reichlichem Samenwurf hin, und wird dabei von Menschen und Teufeln, von innen und außen auf eine unerhörte Weise gequält. Zwischen den beiden Stücken aber mitten inne, welche von den menschlichen und dämonischen Leiden Pauli reden, steht vom ersten bis sechsten Vers des 12. Kapitels eine Erzählung von der wunderbaren Entzückung St. Pauli bis in den dritten Himmel, also von einer außerordentlichen göttlichen Gnadenerweisung, kraft welcher man den heiligen Apostel von allen menschlichen und dämonischen Anfechtungen freigesprochen halten konnte. Es ist merkwürdig genug, daß der Apostel gerade diesen Gang nimmt, erst von seinen menschlichen Leiden, dann von seinen göttlichen Freuden, und endlich von seinen dämonischen Qualen redet. Doch wird es erklärlich, wenn man die Absicht Pauli bei dieser Reihenfolge in’s Auge faßt.

 St. Paulus verschmäht es, den falschen Lehrern gegenüber, die in seinen Heerden als verkappte Wölfe wühlten, auf anderes hinzuweisen, worinnen sie ohnehin und anerkannter Maßen keinen Vergleich mit ihm aushalten konnten. Dagegen aber wählt er sich die genannten besonderen, nicht beachteten oder verborgenen Punkte aus, in welchen solche Menschen wie die corinthischen falschen Lehrer, die allewege das Ihre suchten, gar keine Erfahrung zu haben pflegen. Weder werden sie sich solchen menschlichen Leiden unterzogen haben, noch wird sie Gott solcher himmlischen Freuden und dämonischen Leiden gewürdigt haben, wie St. Paulum. Der heilige Apostel faßt dabei die drei verschiedenen Abtheilungen unseres Textes in zwei zusammen. Er sagt nemlich Kap. 11, 30 und Kap. 12, 9, er wolle sich seiner Schwachheiten rühmen, Kap. 12, 5 aber, er wolle sich der hohen Offenbarungen Gottes rühmen. Unter den Schwachheiten aber faßt er die menschlichen und dämonischen Leiden zusammen und benennt sie mit dem Namen „Schwachheiten“ um deswillen, weil beiderlei Leiden alle seine Kraft aufzehrten, ihn müde, schwach und untüchtig machten, so daß nur Gott der HErr das Wunder thun konnte, ihn bei solcher Schwachheit dennoch immer in der Pracht neuer Früchte und apostolischer Werke vor die Augen der

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/160&oldid=- (Version vom 1.8.2018)