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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

die Heiden aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben stehet: Darum will ich dich loben unter den Heiden, und deinem Namen singen. 10. Und abermal spricht er: Freuet euch, ihr Heiden, mit seinem Volk. 11. Und abermal: Lobet den HErrn, alle Heiden, und preiset ihn, alle Völker. 12. Und abermal spricht Jesaias: Es wird sein die Wurzel Jesse, und der auferstehen wird zu herrschen über die Heiden, auf den werden die Heiden hoffen. 13. Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr völlige Hoffnung habet durch die Kraft des Heiligen Geistes.


 GAnz adventmäßig, ja ganz eigentlich von der Wiederkunft des HErrn Jesus spricht das heutige Evangelium. Dagegen aber die Epistel, die wir soeben zum zweiten Male gelesen haben, wie paßt sie zum heutigen Evangelium und zum Adventsgedanken? Scheinbar spricht sie ja von etwas völlig anderem, von der Geduld mit den Schwachen, von der Behandlung derer, die in die christliche Freiheit nicht einzugehen vermögen und den Gefreieten des HErrn Jesus Aufenthalt, Mühe und Beschwerde verursachen. Allerdings, meine Freunde, ist in den letzten Worten der Hauptinhalt der Epistel angegeben, allerdings scheint dieser Inhalt dem Adventsgedanken fern zu liegen, aber er wird durch die Art und Weise, wie ihn der Apostel behandelt, und durch die Begründung, die er unter seinen Händen findet, ganz adventmäßig, und schlägt eine Saite aus der Offenbarung Gottes vom Ende der Welt und der Wiederkunft Christi an, die zwar nicht unter diejenigen gehört, welche häufig angeschlagen werden, die aber neben dem gewaltigen Donner des heutigen Evangeliums eine süße, helle Melodie von der Seligkeit der letzten Zeit anstimmt. – Schon wenn in unsrem Texte von der Geduld die Rede ist, von einem Gott der Geduld, kann ein Strahl von der Wiederkunft Jesu Christi in unser Auge fallen, denn die Geduld hat doch ihr Ziel und Ende, auch die Geduld Gottes. Sie ist an und für sich selber eine Tugend, welche nicht ohne Maß gedacht werden kann; das Maß aber für alle Geduld Gottes und Seiner Heiligen setzt der Advent des HErrn, auf den wir warten, die Wiederkunft Christi zur Vertilgung des Reiches des Antichristus und der letzten mächtigsten Bemühungen des Teufels. Wenn aber auch das Wort von der Geduld nicht in unsrem Texte stände, so kommt doch mehr als einmal, es kommt dreimal das Wort vor, welches die bestimmteste Beziehung auf den Advent Christi hat, das Wort „Hoffnung“, dieses Wort, welches man zwar im 18. und 19. Jahrhundert lieber auf die Hoffnung eines seligen Lebens der Seele nach dem Tode bezogen hat, das aber nach dem Sinne der Apostel auf gar nichts anders deutet, als auf die Wiederkunft des HErrn, und die Aufrichtung des Reiches David; denn das ist die liebste Hoffnung aller Apostel, welche ihr Sinnen und Denken beherrscht. Da sagt denn unser Text nach der lutherischen Uebersetzung: wir sollen durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben, oder genauer am Wort gegeben: wir sollen durch die Geduld und den tröstenden Zuspruch der heiligen Schriften die Hoffnung festhalten, nämlich die Hoffnung auf das Angesicht des ewigen Bräutigams und auf Sein Liebesreich, das alle Noth der Erde vergeßen macht. Und wie Gott im Texte ein Gott der Geduld heißt, so heißt er in demselben auch ein Gott der Hoffnung, der uns die gehoffte Herrlichkeit des HErrn Jesus Christus vorbehält, und zur rechten Zeit und Stunde gibt. Endlich und zum dritten Male will ja unser Text, daß die Römer in der Kraft des heiligen Geistes völlige Hoffnung haben, oder überfließen an Hoffnung, d. i. an der sicheren freudigen Aussicht auf das Ende der Weltperiode, in der wir leben und den Beginn eines ewigen Reiches der Herrlichkeit. – Wer nun also die doppelte und dreifache Wiederkehr der Worte „Geduld und Hoffnung“ in unsrem Texte überlegt, der vernimmt schon ein Vorspiel zu dem süßen Hohen Lied des Advents, das aus dem Zusammenhang des Textes tönt, auch wenn er diesen Zusammenhang gar noch nicht gefunden, begriffen hat. Es sei nun aber heute meine Sorge, euch den Zusammenhang darzulegen, und euch zu zeigen,

wie sich die Geduld des Christen durch die Hoffnung stärkt.

 Da sollt ihr also zuerst schauen die heilige Geduld, sodann die Hoffnung, von der St.

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 011. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)