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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ruht wohl in seinem Grabe, aber sein Geist lebt ja doch, er selbst lebt. Möge uns der HErr verleihen durch eine innige Auffaßung und eifrige Aneignung der paulinischen Lehre, Paulo selbst näher zu kommen und uns als seine Schüler zu erkennen, und wir je länger je mehr von dem hohen Meister lernen, mit dem wir durch Einen Geist und Glauben verbunden sind.

 Diese beiden Gedanken sind Bußgedanken, sie sind uns nütze zur Strafe. Aber es ist die angenehme Zeit, es ist der Tag des Heils, es wird viel gepredigt, und zwar jetzt vom süßesten Thema, den Leiden JEsu, und die Einladung zu einem gesegneten Gebrauch des heiligen Sacramentes tritt mächtiger an unser Herz. Gottes Mittel und Hebel sind in Bewegung, es wird gewaltig an uns gearbeitet, es ist eine schöne, segensreiche Zeit. Da mögen uns denn zunächst gegeben werden Augen für Pauli Beispiel, Ohren für seine Vermahnung, Macht und Kraft nicht vergeblich die Gnade Gottes zu empfangen. Die Reue grüne und thaue, die Gerechtigkeit blühe, und die Nachfolge Pauli reife als zeitgemäße Frucht der durchgreifenden mächtigen Arbeit Pauli an unsrer Zeit und unserm Geschlechte. Amen.




Am Sonntage Reminiscere.

1 Thess. 4, 1–7.
1. Weiter, lieben Brüder, bitten wir euch, und ermahnen in dem HErrn JEsu (nachdem ihr von uns empfangen habt, wie ihr sollt wandeln und Gott gefallen), daß ihr immer völliger werdet. 2. Denn ihr wißet, welche Gebote wir euch gegeben haben, durch den HErrn JEsum. 3. Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, daß ihr meidet die Hurerei, 4. Und ein jeglicher unter euch wiße sein Faß zu behalten in Heiligung und Ehren, 5. Nicht in der Lustseuche, wie die Heiden, die von Gott nichts wißen; 6. Und daß Niemand zu weit greife, noch vervortheile seinen Bruder im Handel; denn der HErr ist der Rächer über das alles, wie wir euch zuvor gesagt und bezeuget haben. 7. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung.

 WAhrlich, meine lieben Brüder, der heutige epistolische Text paßt beides zum Evangelium und zu der Zeit, in der wir leben. Das Evangelium erzählt die Geschichte vom cananäischen Weibe und ihrer dämonischen Tochter. Da erscheint uns eine heidnische Mutter und Tochter, wie sie vom Satan hart angefochten und geplagt sind. In unsrer Epistel aber erscheint uns eine heidenchristliche Gemeinde, nemlich die von Thessalonich, und zwar geplagt und angefochten von wahrhaft heidnischen und griechischen Sünden, von Fleischeslüsten und dem Begehren nach fremdem Besitz. Ich nenne diese beiden Sündengebiete heidnische und insonderheit griechische, obschon ich weiß, daß auch der Jude von beiden angefochten war und von den Aposteln ihretwegen oft gestraft wird. Der Heide, insonderheit der Grieche, hatte nemlich für beide Sünden Sinn und Gewißen verloren; Fleischeslust, Habsucht und Betrügerei erkannte er kaum mehr für Unrecht, sie erschienen ihm fast wie Tugenden. Da führt nun der Apostel in unsrem Texte die Uebertretung der beiden Gebote, des sechsten und siebenten, unter einem und demselben Namen der Unreinigkeit an, und verwirft sie damit beide. Dieser Inhalt eignet unsern Text sehr wohl, um in Begleitung des heutigen Evangeliums zu gehen. Das letztere zeigt uns die Heidenwelt unter dem verunreinigenden Einfluß der Dämonen, der Teufel; ersterer aber in der Unreinigkeit des Herzens und der Begier. Dämonische und sittliche Unreinigkeit erscheinen neben einander, für beide aber auch Ein Helfer JEsus Christus und Ein Weg der Hilfe, nemlich das „Kyrie Eleison“ der Cananäerin; denn wahrlich nur JEsus Christus und Sein blutiges Verdienst erretten uns und alle Heiden aus der Gewalt und Anfechtung der Dämonen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/186&oldid=- (Version vom 1.8.2018)