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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und zur Seuche geworden ist? Erst mußt du inwendig aufräumen und deine Seele heiligen und ehren, ehe du den Leib heiligen und ehren kannst. Es gibt gar keine Sünde, bei welcher sich Leib und Seele so ganz verbunden und als Eines zeigen, wie die Sünde der Fleischeslust. Dein Blut und alle deine Leibeskräfte und Säfte verderben in dir, wenn deine Seele innerlich in bösen Lüsten schwelgt. Dein Blick, dein Gang, deine Gebärde, dein ganzes Gefäß der Seelen verliert den reinen Glanz und die liebliche Anmuth der Jugend und des guten Gewißens, und, tausend Zeichen sagen es dem Kundigen, wenn inwendig deine Seele über dem Kothe der bösen Lüste brütet. Keine Sünde ist leiblicher, aber auch keine mehr quillt aus der Seele hervor, als die böse geschlechtliche Lust. Daher muß innen die Wandelung vor sich gehen, die Waschung und Reinigung geschehen, dein Herz muß vor Allem rein werden, wenn es der Leib sein und bleiben soll, wenn du nicht verloren gehen willst mit Leib und Seele in dem abscheulichen tiefen Schlamm der bösen Lüste.

 Nicht in der Lustseuche, sagt der Apostel, wie die Heiden, die von Gott nichts wißen.“ Es scheint nicht gleich so, aber es ist so: hier wird der Fluch der Fleischessünden aufgedeckt, und man muß ihn ansehen, damit die Seele vom heilsamen Schrecken ergriffen, beten und seufzen lerne um ein reines Herz, und um einen neuen gewissen Geist. – Von den Heiden wird hier ein Doppeltes ausgesagt, sie wißen von Gott nichts, und sie leben in der Lustseuche. Dies erinnert stark an jenen berühmten Anfang des Briefes Pauli an die Römer, in welchem dargestellt wird, wie die Heiden von dem lebendigen Gott abgefallen und dafür in ihres Herzens Gelüste hingegeben worden seien. Beide Stellen setzen also den Abfall von Gott, und das tiefe, sittliche Verderben in Zusammenhang, und zwar, wie der Brief an die Römer zeigt, in keinen blos zufälligen. Können wir auch diesen Zusammenhang und die Art und Weise desselbigen nicht ergründen, so ist er doch offenbar vorhanden, und die furchtbaren Verirrungen der Geschlechtslust, welche an den heidnischen Völkern zur Zeit Christi zu bemerken sind, erscheinen zugleich als Frucht des selbsterwählten Weges und als Strafe des Allmächtigen, welcher den Menschen in den eigenen Willen dahin stürzen läßt, wenn er sich von dem Schöpfer und Seiner Anbetung abwendet.

 Es wäre hier in der That nicht schwer, eine große Anzahl geschichtlicher Mittheilungen von dem Verderben der von Gott abgefallenen Heiden zu machen, aber die Heiden sind ja in unsrem Texte nur Beispiele, durch welche die apostolische Warnung den Christen nur desto tiefer in’s Herz gehen soll, daher ich nicht weitläufig über dieselben zu reden brauche, sondern vor dem Uebergang zum zweiten und letzten Theile unseres Textes nur zwei seelsorgerische Erfahrungen hinzustellen wage, welche dem Worte des Apostels von der verbotenen Geschlechtslust Nachdruck geben können. Zuerst die eine Erfahrung. So lange Zeit bin ich Seelsorger, mit so vielen Menschen habe ich als Beichtvater Umgang gepflogen. Da kam es mir denn oft zu Handen, daß Christen, welche sich den geschlechtlichen Lüsten, insonderheit den heimlichen, ergeben hatten, auch später noch, wenn sie sich längst bekehrt hatten, von Zweifeln an Gott und den Geheimnissen des Glaubens geplagt wurden und es selten zu einem recht freudigen und kräftigen Glaubensleben brachten. Ich erkannte hier einen tiefen Zusammenhang des sechsten und ersten Gebotes, der Uebertretungen des sechsten mit Glaubensohnmacht. So sehr trat mir dieser Zusammenhang vor Augen, daß ich zuweilen auch bei denen, die über Zweifel und Glaubensohnmacht klagten, ohne deshalb mir als Lüstlinge bekannt zu sein, die Vermuthung wagte, es möchte die innere Lebenskraft durch Hingabe an geschlechtliche Lüste angefreßen sein. Die Vermuthung erwies sich dann hinterher oft als treffend wahr. – Die zweite Erfahrung. Oefters hatte ich Schüler, die für alles Göttliche empfänglich waren, die aber auf einmal stumpf und theilnahmlos wurden gegen das Wort des HErrn. Was war die Ursache der schnellen großen Aenderung? Sie hatten der Schlange, der Verführerin, der Wollust nachgegeben, und sich in ein weltliches Leben gestürzt. Die zweite Erfahrung ist an noch zahlreicheren Beispielen gemacht, als die erste: ganze Jahreskurse von Confirmanden stehen als Beispiele da. Unsre todte, theilnahmlose, allem göttlichen Sinne entfremdete Jugend, wie ist sie zu dieser Niederträchtigkeit, zu dieser Gemeinheit und Stumpfheit gekommen? Durch verführerische Worte listiger Weltkinder irre geworden an dem Worte des treuen Seelsorgers, durch Tänze und Jahrmärkte geködert, durch die Annehmlichkeit der ersten geschlechtlichen Bekanntschaft überrascht und gefangen, in Lüste

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/191&oldid=- (Version vom 1.8.2018)