Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/192

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

verstrickt, in Hurerei versunken, alles reinen Herzens und Willens baar, können sie Gott nicht mehr schauen, Sein Wort nicht mehr erkennen, fühlen sie sich von demselben verurtheilt und verdammt, fliehen sie Seine Mahnung, werden sie immer mehr eine Beute des niederträchtigen, gemeinen Lebens, in dem ein Geschlecht nach dem andern untergeht. Eine grauenvolle Erfahrung, deren Richtigkeit prüfen kann wer da will, und bewährt finden wird, wer da prüft. Wenn das nicht eine Warnung vor der Wollust ist, so sage mir eine, die stärker ist und mächtiger auf die Seele wirken kann.


II.

 Mit dem Laster der Wollust war bei den Griechen in der apostolischen Zeit das Laster der Untreue im „Mein“ und „Dein“, der Betrügerei, verbunden. Das Geschlecht der Griechen war rücksichtlich der Untreue zum Sprichwort geworden. Griechische Treue war dasselbe, was späterhin fränkische Treue, und in der neueren Zeit, wenigstens eine Zeit lang französische Treue sagen sollte. Schon in früheren beßeren Zeiten galt Betrug und Diebstahl sogar bei dem griechischen Volke der Spartaner, welches vor anderen gewisse Vorzüge besaß, für einen Beweis von Verstand und praktischer Tüchtigkeit. In den Zeiten der Apostel hatte sich das alles zur abgefeimtesten und niederträchtigsten Lebensweise eines Handelsvolkes ohne Gleichen ausgebildet. So wie die Hurerei, so war die Betrügerei bei dem Griechen gewißenlos geworden; und wie wir aus unserem Texte sehen, hatte der Grieche, der Macedonier, der Thessalonicher, selbst dann mit dieser angeerbten, angewöhnten, anerzogenen Sünde zu kämpfen, wenn unleugbar schon große göttliche Gaben des Lichtes und eines heiligen Wandels vorhanden waren. Daher schreibt der Apostel Vers 6, daß nicht einer den andern vervortheilen und zu weit greifen solle im Handel. Sollte man es denken, daß der Geist Gottes nur Sein Werk noch in Menschen haben könne, die nicht einmal ehrlich und redlich sind, die auf eine listige Weise vom Bruder zeitlichen Nutzen ziehen, nehmen und fordern, wozu sie kein Recht haben und Meister in der Kunst sind, sich Geld zu machen und andere zu vervortheilen? Dem heiligen Geiste geziemt doch ein reiner Tempel; und Er kann bei den Menschen bleiben und in ihnen wirken, wenn sie in Fleischeslust leben, und wenn sie in niederträchtigster Weise aus der Habsucht ein Gewerbe machen?! Sage man, was man will, es ist so. Es sind viele unter euch, und zwar Leute der verschiedensten Stände und Gewerbe, welche den Textesvers, von dem wir so eben handeln, alles Ernstes auf sich anwenden dürften, viele, die für gar nichts anders leben, als für den Erwerb, und die es gar keinen Hehl haben dürfen, daß sie nichts weiter scheuen, als blos das „ertappt und offenbar“ werden. Sie treiben Jahrzehende lang ihr sündlich böses Geschäft, sie häufen den Fluch des ungerechten Gutes auf sich und ihre Kinder, sie wühlen sich immer tiefer hinein in die jammervolle Schuld der Habsucht, ja der boshaftesten und betrügerischesten Schurkerei und Dieberei. Ihr Gewißen muß nothwendig immer schlechter werden und in ihr Herz immer tiefer mit brennenden Zügen das Brandmaal der Heuchelei und Gleißnerei eingebrannt werden, ihr Gang ist ein Gang zur Hölle, – und dennoch arbeitet der Geist Gottes noch an ihnen. Es ist, wie wenn eine solche Verdammnis ihrer wartete, daß der ewige Seelsorger aller Menschen, der Geist des HErrn, eine besondere und beständige Treue an ihnen glaubt erweisen zu müßen, damit sie wo möglich vor solchem ewigen Unglück errettet bleiben. Es ist eine wunderliche Erfahrung, meine lieben Brüder, daß einerseits der Geizige, der Habsüchtige, der Betrüger und betrügerische Untertreter seiner Mitmenschen so überaus schwer zur Erkenntnis ihrer Schuld kommen, andrerseits aber oft bis an ihr Ende hin süße Stunden der Heimsuchung und starke Gnadenzüge bekommen. Große Arbeit des heiligen Geistes, göttliche, unendliche Treue, Herzen erwiesen, die doch nur immer härter werden und immer mehr für das Feuer der tiefen Hölle reifen! Da heißt es: „Weißest Du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet“? Die Antwort aber ist: „Nein, wir wißen nichts, wir sind fromm, wir gehen zur Kirche, wir beten, wir lesen die Schrift; daß wir aber auf das Unsre sehen, ist unsre Schuldigkeit“. Wohlan, weigert euch nur immerzu des göttlichen Willens und Wortes, verhärtet euch nur immer mehr gegen den Einfluß des heiligen Geistes, rühmt euch nur und brüstet euch, zumal wenn es euch gelingt, wenn ihr durch Betrug und Diebstahl schuldenfrei, durch Blutgeld und Schweiß eurer Brüder wohlhabend und stattliche Leute werdet, stopfet euch wohl

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/192&oldid=- (Version vom 1.8.2018)