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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

auch die Ohren zu gegen das Wort, das euch witzigen könnte, haltet euch für klug und weise, und die andre Wege gehen als ihr, für Narren: Eines müßt ihr doch nicht blos hören, sondern ihr werdet es erfahren, nemlich was St. Paulus schreibt in unserm Texte: „Der HErr ist ein Rächer über das alles, wie wir euch zuvor gesagt und bezeugt haben.

 Dies Wort von der Rache Gottes geht allerdings nicht allein auf die Betrügerei, sondern auch auf die Wollust. Der HErr ist ein Rächer für beides. Die Rache über den Lüstling ist oft sonnenklar, denn die Wollust hat oft ihr Gericht schon in der Zeit, und ihre Verdammnis schon unter der Sonne. Aber auch für den Betrüger, den unredlichen und ungerechten, ist der HErr ein Rächer. Es heißt nicht: Er könnte rächen, sondern es heißt: „Er ist ein Rächer“. Sein Auge ist offen, Sein Gedächtnis ist treu, Seine Rache weiß ihre Zeit, Sein Fuß kommt behende, Seine Hand schlägt unbarmherzig den Unbarmherzigen. Wie ein Löwe seinen Feind faßt und ihn nimmer los läßt, so kommt der Allmächtige über dich, du elender Thor, der du Gott und Sein Gericht nicht scheuest, List, Gewalt und Frevel übest an denen, die sich nicht wider dich wehren können. – Aber das ist alles in den Wind geredet, das sind ernste Worte, auf die niemand merkt, das gilt für eitel Kapuzinergepolter und Kanzelpochen, denn das Ohr des Selbstsüchtigen ist hart und stumpf, und weßen Gott der Mammon geworden ist, der glaubt je länger, je weniger an einen lebendigen Gott, an ein Gericht und eine Rache, die in den Lauf der Lebendigen eingreifen, oder gar den Todten bezahlen wird, wie sie es verdienen.

 Darum wende ich mich zum Schluß an die unter euch, die noch weicher sind, die noch nicht durch den Ton des Geldes und das Rauschen des Besitzes um alles Gefühl und alle Beachtung der göttlichen Stimme gekommen sind. Wenn mein Wort für die Sklaven der Habsucht bestrafend geklungen hat, so wünsche ich, daß es für euch zuletzt noch eine Warnung und Ermunterung werde. Sehet in den Text. Im dritten Verse, vor der speziellen Ausführung der apostolischen Ermahnung leset ihr: „das ist der Wille Gottes, eure Heiligung“. Im siebenten Verse aber, dem Schlußverse des ganzen Kapitels, sagt der Apostel: „Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung.“ Was versteht er unter dem Worte Unreinigkeit? Offenbar beides, Hurerei und Betrügerei. Was aber versteht er unter Heiligung? Offenbar in dieser Stelle zunächst: die Befreiung von Hurerei und Betrügerei, die Bekehrung zur Keuschheit und Redlichkeit. Die Zusammenfaßung ist merkwürdig. Wir würden vielleicht niemals dahin gekommen sein, die beiden Sünden: Hurerei und Betrügerei als Schwestern zu betrachten, die gerne mit einander Hand in Hand durchs Land hingehen. Wenn man ja Sünden paarweise hätte zusammen stellen wollen, so würden wir auch Paare gefunden haben, aber nicht das Textespaar. Und doch ist es gewis, die zwei Sünden gehören zusammen, und gehen auch tausendmal zusammen; sie haben beide mit einander eine und dieselbige große Kraft, die Seele zu verunreinigen. Das merkt der nicht mehr, der schon über und über unrein ist, aber der Anfänger kann’s merken. Ich will mir einmal einen priesterlichen Jüngling denken, der sich lange nach dem Tag gesehnt hat, an welchem er des Sakramentes walten, den Leib und das Blut des Erlösers in seine Hände nehmen darf. Endlich kommt sein großer Ehrentag: welche Freudenschauer und welche zitternde Andacht wird sein Herz bewegen, wenn er zum erstenmale consecrirt, und nun die gesegneten Elemente vom Tische Gottes den Kommunicanten reicht! Selige Stunde! Nun denk dir aber einmal einen priesterlichen Menschen, welcher die Pforten seines Innern der Fleischeslust geöffnet hat, innerlich gefallen ist. Er tritt mit bebendem Herzen zum Altar und seine Hand, die vom Schlamme seiner Sünde nicht rein werden will, greift nach dem Sacramente: welch ein durchbohrendes Gefühl der Unwürdigkeit muß ihn durchdringen! Wenn er zusammenstürzte, wenn er verzweifelte, man könnte es faßen. Wenn nun aber derselbe priesterliche Mensch nicht gehurt hätte, aber gestohlen, betrogen, untertreten: würde er sich eben so unwerth, so durchbohrt, so verworfen fühlen? Vielleicht nicht, vielleicht doch, ob aber, oder nicht, die Unreinigkeit wäre gleich groß. Der Betrüger, der Habsüchtige, der Selbstsüchtige ist um nichts beßer als der Hurer. Nicht auf’s Gefühl, auf die Wahrheit des göttlichen Gerichts kommt es an, und nach dem Worte Gottes muß alles beurtheilt werden. Darum nehme, wer noch ein Gefühl hat für das Wort des HErrn, wer noch offen für dasselbe ist, das

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/193&oldid=- (Version vom 1.8.2018)