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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ohne Zahl finden sich in allen Schichten der Bevölkerung, so daß auch nicht ein Schein vorhanden ist von jenem Gehorsam gegen ein apostolisches Gebot, nach welchem nicht einmal eine Ursache vorhanden sein soll, in einer christlichen Gemeinde die Namen „Hurerei oder Unreinigkeit“ zu nennen. – Der Apostel wußte wohl, welch eine hohe, dem Fleische unmögliche Forderung er stellte und wie wenig Gehorsam zu hoffen stand; dennoch stellte er die Forderung, die zu Rechte besteht, man genüge ihr oder nicht. Er gehörte nicht zu denen, welche das Gebot verringern und lindern, wenn es sich zeigt, daß keine Aussicht auf Gehorsam ist. Die geringe Leistung, die er findet, nimmt ihm so wenig den Muth zur Forderung, als das Recht. Er bedarf die gestrenge Forderung zur Erweckung tiefer Buße, wenn er auch die gewünschte und ersehnte Stufe der Heiligung damit nicht erreicht. Er will auch nicht haben, daß wir in unsern Forderungen an uns selbst und in unsern Zielen hinter ihm selbst und seinen Worten zurück bleiben, sondern auch wir sollen Großes fordern, weil es recht ist, und damit wir wenigstens die Reizung zu tiefer Buße finden, wenn wir die Macht nicht haben, Großes in der Heiligung zu leisten. –

 Sehen wir auf das Einzelne, was der Apostel fordert, so finden wir eine größere Ausführlichkeit, als in der vorigen Epistel. Es wird nicht allein die Hurerei genannt, sondern neben ihr zuerst die Unreinigkeit. In dieses Wort eingeschloßen sind alle Arten von Verunreinigung der Seele durch Fleischeslust, welche in das Wort „Hurerei“ sich nicht einschließen laßen. Doch scheint nach des Apostels Meinung nur thätliche Verunreinigung unter dem Worte verstanden zu sein; es würden sonst nicht diejenigen Versündigungen gegen das sechste Gebot, welche insonderheit durch die Zunge geschehen, von dem Apostel ausdrücklich und besonders genannt sein. Er nennt aber im vierten Verse „schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz“. Von diesen dreien ist das erste selbstverständlich, während rücksichtlich der beiden letztern die Bemerkung zu machen sein wird, daß der Scherz, den der Apostel meint und der er an und für sich selbst so unlöblich und unehrlich im Reiche Gottes ist, wie die Narrentheidinge, doch in Verbindung mit etwas mehr Bildung und Schliff des Lebens zu faßen ist, als die Narrentheidinge, die mehr mit Rohheit verbunden scheinen. Uebrigens wird wohl von den drei zuletzt verbotenen Dingen zu sagen sein, daß an ihnen allen ein Anstrich von Unkeuschheit und Unzucht hängt. – Möglich ist es, meine lieben Brüder, daß bei der vorigen Epistel sich unreine Herzen leichter den Vorwürfen ihres Gewißens entwinden konnten, weil vielleicht von den dort gebrauchten Worten keines diejenige Art, oder den Grad von Verunreinigung bezeichnete, der gerade bei ihnen stattfindet. Durch die Worte des heutigen Textes aber kann manchem Leser und Hörer der Dienst gethan werden, den sie bedürfen; es wird vielleicht seine Sünde genannt und ans Licht gezogen sein. So ist z. B. nicht immer der Vorwurf der Hurerei bei einem Menschen anzuwenden, während das Wort „Unreinigkeit“, gerade weil es so weit ist, auch desto schärfer trifft. Du nimmst es nicht genau, du läßest dich gehen, verunreinigst Leib und Seele unzählige Male, fast ohne es zu bemerken. Du entschuldigst dich dabei auf eine leichtfertige Weise, weil du ja Doch kein Hurer seist; allein was hilft es, dich zu entschuldigen, wenn dich doch das Wort „unrein“ schlägt? Derselbe Geist, welcher die Hurerei tadelt und straft, straft und tadelt auch die Unreinigkeit, und, läßt ihr nicht einmal zu, diese für etwas beßer als jene zu halten. Im Gegentheil, indem dir in einer Reihe das eine wie das andere verboten wird, wird dein Gewißen aufgeweckt, beides für gleich sträflich zu halten. Möchte das letztere nur in recht hohem Grade der Fall sein, und du dadurch auch von jener niederträchtigen Selbstgerechtigkeit befreit werden, bei welcher der Mensch zwar nur an sich zu tadeln hat, aber schon dadurch in seiner Sicherheit und Ruhe erhalten wird, daß er glaubt annehmen zu dürfen, er sei doch wenigstens nicht so sündenbeladen als Andere, also z. B. wenn er gleich über und über von Unreinigkeit beschmutzt sei, so sei er doch kein Hurer. –

 Besonders aber wird unser Text geeignet sein, denjenigen unter uns zu dienen, welche in ihren Thaten und ihrem Verhalten weder Unreine noch Hurer genannt werden können, dafür aber ihren Mund auf die gewißenloseste Weise beständig wieder in schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz eintauchen. Wie wenn kein Unterschied wäre zwischen Hurerei und Unreinigkeit einerseits und andrerseits diesen Zungensünden, führt der Apostel diese mit

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/198&oldid=- (Version vom 1.8.2018)