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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

vor einer ewigen Pein zu benehmen suchen. Das aber alles ist vorausgesehen, und das Geschwätz aller Unholde dieser und jener Welt ist vom Apostel mit den Worten verworfen: „Laßet euch niemand verführen mit vergeblichen Worten, werdet nicht Mitgenoßen der Kinder des Ungehorsams“. Abgemahnt werden wir von aller Hingabe an die Verführer, von allem Leichtsinn rücksichtlich der Uebertretung des sechsten und siebenten Gebotes, und die Abmahnung geschieht mit ernster Hinweisung auf die vorhandenen Drohungen Gottes.

 Es ist eine wunderliche Sache, meine Lieben, daß man bei uns Protestanten eine Hölle, eine ewige Qual und Pein, ein Feuer, das nicht verlischt, und deßen Rauch von Ewigkeit zu Ewigkeit aufsteigt, wohl annimmt, daß man aber oftmals gar nicht zugeben will, was doch mit der Annahme so eng zusammen hängt, daß man sich also, vor Hölle, Pein und Feuer scheuen müße. So wie man keinen Gnadenlohn der Ewigkeit glaubt hoffen und begehren zu dürfen, so will man auch nichts von einer Furcht vor der ewigen Vergeltung des Bösen wißen. Man hält es allenfalls für kindlich schön und rührend, aber doch auch für irrthümlich und nach Umständen für thöricht, an Strafen der Ewigkeit zu denken. Warnt ein Prediger vor dem, das kommen wird, schildert er mit biblischen Worten die Höllenpein der Verfluchten; so kann es kommen, daß einer oder der andre selbst gerührt wird von den Worten des Predigers, dabei aber hält man doch alles nur für Declamation und Redekunst und im Ernste glaubt man das alles nicht nehmen zu dürfen. Die Apostel zwar haben alles geglaubt und sich gefürchtet, sie sind ehrwürdige Menschen; aber die Weisen des Tages abstrahieren sich aus ihren Reden nur dies und das, wirkliche Strafen der Ewigkeit glauben sie nicht. Sie wißen’s zu sagen und zu demonstrieren, warum nicht? Der HErr aber nennt alle ihre Weisheit durch Seinen Apostel vergebliche Worte und eitles Geschwätz, und behauptet seinerseits desto fester und majestätischer, daß es ewigen Lohn und ewige Strafe gebe. Wer wird denn Recht haben in solchem Zwiespalt, St. Paulus oder die Kinder der Welt? Wer wird ein Verführer sein und als solcher gestraft werden, der Apostel oder seine Gegner? Die Antwort ist leicht. Die echte Weisheit ist kenntlich. Wer Verstand hat, der fürchtet Gott und Sein Gericht und meidet das Böse. Man sage nicht, es sei nicht nöthig, daß man sich fürchte, die Furcht solle im Christenmenschen nicht sein, der HErr wolle keine knechtische Furcht, sondern nur eine kindliche haben. Wir sind beides, Knechte und Kinder, und je nachdem das eine oder das andere hervortritt, fürchten wir uns, entweder kindlich oder knechtisch. Unser Zustand schwankt hin und her, bald haben wir gutes, bald böses Gewißen, da haben wir dann auch verschiedene Arten, von Furcht. „Ich fürchte mich vor Dir, daß mir die Haut schauert,“ sagt der heilige Sänger, und gewis wußte er warum. Als er dieses sagte, war er sicherlich in Erkenntnis seiner Sünde. Ich denke aber, es fallen manchmal die Schrecken Gottes auch über Gottes Kinder, und wenn sie auch allmählich wieder davon frei werden und zur gewohnten heiteren Thätigkeit zurückkehren, so erscheinen sie doch zur Zeit ihrer Furcht als zerschlagene, die unfähig sind kindliche oder knechtische Furcht zu unterscheiden. Ich möchte die Stunden des Schreckens in keinem Christenleben völlig vermissen. Vielleicht könnte man sagen: die sich gar nie vor Gott und Seinem Gerichte fürchten, seien sichere Weltkinder. Es ist ja offenbar, daß von Natur niemand Gott und Sein Gericht fürchtet, daß es schon eine Wirkung des heiligen Geistes ist, sich nur einmal recht ernstlich vor Gott zu fürchten, daß einem die Haut schauert. Es ist das nicht die höchste Gnadenwirkung Gottes und Seines Geistes, die Liebe ist eine höhere Offenbarung als die Furcht, aber immerhin ist schon gesegnet der Mensch, der sich fürchtet, und es kann daher keiner, der ohne Furcht und Schrecken des HErrn und Seines Gerichtes dahin lebt, der niemals empfunden hat, wie arm er Gott gegenüber steht, seinen Zustand und seine Erfahrung so ohne Weiteres rühmen. Von Furcht zur Liebe, von den Schrecken des Gerichtes zur Hoffnung des ewigen Lebens ist überdies ein gesegneter Schritt, den uns Gott Allen gönne. Er zerstöre in uns durch das Feuer der Furcht das Böse, und die Flamme der Liebe entzünde in uns alles Gute.

 Wir stehen am Schluße des Textes, der so schön zum Anfang desselben zurückkehrt. Dort lasen wir: „So seid nun Gottes Nachfolger als die lieben Kinder und wandelt in der Liebe“. Dies Wort warf auf all den besondern Inhalt unsrer Epistel seinen hellen Schein. Hurerei, Unreinigkeit und Habsucht, schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz erscheinen nach dem

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/202&oldid=- (Version vom 1.8.2018)