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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

von dem göttlichen Worte selbst gelehrt, oder doch veranlaßt.

 St. Paulus, ein Meister in typischer Schriftauslegung, wie kaum ein anderer, kann uns nachdem Maße des Geistes und der Gabe, die er hatte, Glaubwürdiges aus dem Bereiche der typischen Schriftauslegung an die Hand geben; auf ihn horchen, ihm glauben wir und halten alles für Vorbild und vorbildliche Weißagung, was er dafür hält; bescheiden in eigener Erkenntnis, hangen wir vertrauensvoll an seinem Mund und Lichte, und laßen uns besonders und mit Freuden gefallen, was sein Mund in unserm Texte an heimlicher typologischer Weisheit offenbart. Fröhlich über jedes Vorbild, lustig zur Zusammenstellung aller apostolischen Stellen, in welchen Typen gedeutet werden, gehen wir nun an unsre heutige Aufgabe, spüren und schauen, was uns der HErr von Sara und Hagar, Isaak und Ismael in unserm Texte Typisches lehrt.

 Der Erzvater Abraham war bekanntlich vermählt an Sarai, späterhin von Gott genannt „Sara“. Neben Sara hatte Abraham auf eigenes Zureden seines Weibes die ägyptische Sklavin Hagar zum Kebsweib genommen. Die letztere Vermählung beruht auf einem Irrtum. Sara dachte sich als möglich, daß die Verheißung der Nachkommenschaft, welche Gott dem Abraham gegeben, auf dem Wege dieser zweiten Vermählung Abrahams mit einem Kebsweibe hinaus gehen sollte, da ja die Kinder, welche ihrem Herrn von ihrer Sklavin geboren würden, auch ihre Kinder genannt werden konnten. Hagar gebar auch einen Sohn, nemlich den Ismael, der kräftig und vielversprechend heran wuchs und von seinem Vater Abraham geliebt wurde. Aber Gottes Gedanken stimmten nicht mit Sara’s Weibergedanken zusammen; Er hatte nicht gemeint, daß die Kinder, die Abraham von Hagar auf natürlichem Wege erzielen würde, Träger der göttlichen Verheißungen werden sollten, die auf Abraham ruhten; er wollte im Gegentheil der Greisin Sara auf Wunderwegen verleihen, wider alles Ansehen der Menschen und wider alle natürliche Möglichkeit Mutter zu werden. Zur Zeit, da er’s beschloßen hatte, vollführte Er auch Seinen Rath, und Sara genaß im höchsten Alter eines Sohnes, der Isaak oder Freudenkind genannt wurde, nicht bloß weil er die Freude der hochbetagten Eltern war, sondern hauptsächlich, weil sich an ihn alle Verheißungen Gottes und alle fröhlichen Hoffnungen des menschlichen Geschlechtes anschloßen. Als nun Isaak neben Ismael heranwuchs, wurde dieser ein Spötter, und Sara drang darauf, daß er mit seiner Mutter Hagar das Haus verlaßen müßte. Abraham, der auch seinem Sohne Ismael mit väterlichen Treuen zugethan war, wollte auf Sara’s Verlangen nicht eingehen; da er aber eine göttliche Weisung bekam, seinem Weibe zu gehorchen, so beugte er sich, und trieb die Sklavin mit ihrem Sohne aus. Der HErr segnete nun zwar auch Ismael, daß er groß und reich und Vater eines unzähligen Samens wurde, aber Seine Verheißungen der besten Art, Sein größter Segen ruhte dennoch auf Isaak, durch welchen Abraham und Sara Stammeltern des heiligen Bundesvolkes, eines Samens wurden, der glänzend und zahlreich auf Erden sein sollte und wurde, wie am Himmel die Sterne.

 Das sind die Geschichten, welche der heiligt Paulus nunmehr auf eine typische Weise auslegt, von denen er im 24. Verse des Textes nach Luthers Uebersetzung sagt: „sie bedeuten etwas“. Die Mutter Sara bedeutet ihm das himmlische Jerusalem, die Heimat und Mutterstadt aller Auserwählten, den Sammelplatz aller wahren, geistigen Israeliten, mögen sie leiblich von Abraham stammen oder nicht. Die Mutter Hagar hingegen bedeutet ihm das Jerusalem seiner Zeit, den stolzen Sammelpunkt aller derer, die dem Judentum in ungöttlicher Weise anhiengen. Wie sich Hagar, als sie mütterliche Hoffnungen von Abraham hegte, gegen die kinderlose Sara erhob, so erhoben sich auch die Kinder Jerusalems, das auf Erden war, die Juden vornemlich gegen die Heidenchristen, die ihnen gering schienen, die sie nicht als Erben ansahen, die sie im Gegentheil seit den Tagen Stephani des Hellenisten, des Vorgängers Pauli, blutig verfolgten. Dagegen aber erscheint Sara, die unfruchtbare, wie als Vorbild des himmlischen Jerusalems, so auch als Vorbild der heidenchristlichen Richtung innerhalb des Christentums. Diese auch nach Wunsch und Meinung der Judenchristen unfruchtbare Richtung hatte dennoch Aussicht auf eine Nachkommenschaft, welche die Judenchristen an Zahl ganz ungleich übertreffen sollte. Hagar, nach St. Paulo der Name für Sinai, den Berg des Gesetzes in Arabien, paßt ganz zum Vorbild wie der Juden so

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/209&oldid=- (Version vom 1.8.2018)