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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Knabe rühmt sich deßen nicht einmal, gibt keinen Anlaß zum Spott, reizt nicht zur Verfolgung; aber er hat eben den Segen, es ist eben doch sichtlich, daß er ihn hat, und in dieser Thatsache liegt am Ende Anlaß und Reiz genug, zu verfolgen und böse zu sein, wenn irgend wo ein neidisch Herz und Auge lacht; da gibt es denn auch Spott, Hohn und Verfolgung des Kleineren durch den Großen. Der hehre Vater merkt es vielleicht nicht oder schlägt es nicht hoch an, aber Sara merkt es, und sie verträgt es nicht, weil sie ihren Sohn im Lichte der Verheißung und nach all dem Vorrecht ansieht, das ihm der gnädige und barmherzige Gott von Mutterleibe an beizulegen beschloßen hat. Darum eifert sie wider den Spötter, ihren Sklaven, und will ihn sammt seiner Mutter, an und in der sie sich so sehr geirrt hat, nicht blos freigelaßen, sondern ausgetrieben haben. Abraham aber muß ihr durch Gottes selbsteignen Beistand gehorchen. Ismael geht in die Wüste, Isaak bleibt in seines Vaters Hütten. – Gerade so ist es mit den Juden- und Heidenchristen. Da wird ohne Zuthun des Gesetzes wunderbarer Weise zu Antiochia eine zahlreiche Gemeinde von Heidenchristen wie Thau aus der Morgenröthe geboren; kein Petrus, kein Jakobus hätte sich ohne besondere göttliche Offenbarung in so etwas gefunden, aber es ist eben so, der Geist Gottes fällt auf die bekehrten Heiden wie auf die bekehrten Juden am Pfingstfest; der laut redende und unwidersprechliche Beweis ist da, daß nach Gottes Willen auch die Heiden sollen eingeleibt werden in die Kirche Gottes, und das ohne alle Werke allein aus Glauben. Das verträgt der Judenchrist Ismael so wenig als der gemeine Jude. Da gibt es Groll und Haß, Spott, Hohn und Verfolgung, je mehr Isaak heranwächst; der vom Fleisch geborene Sohn Abrahams verfolgt den vom Geiste geborenen. Allein so wenig Ismael gegen Isaak Sieger blieb, so wenig bleibt es der Judenchrist gegen den Heidenchristen. Es wandelt sich die Zeit; bald fällt Jerusalem und der Tempel in Staub, dann hat das Judentum sammt dem Judenchristentum Mittelpunkt und Halt verloren. Der Römer fegt das Land, zerstreut die Judenschaft; was im Jahre 70 Vespasianus und Titus nicht vollbringen, das bringt nach noch einmal siebenzig Jahren Kaiser Aelius Hadrianus zu Ende. Dem Judentum, sowie dem Judenchristentum wird alles genommen, alle Hoffnung, jeder Standpunkt. Nichts bleibt übrig, als für den Juden die Verhärtung, für den Judenchristen Bekehrung zu Paulo oder Aussterben. Sara mahnt, die Oberstadt Jerusalem betet, der HErr ist mit ihr im Bunde, der falsche Ismael geht in die Wüste, wo er stirbt; dagegen Isaak, der aus Gnaden frei geborene, das Heidenchristentum, deßen großer Förderer und Pfleger St. Paulus war, bleibt in des Vaters Hütten, setzt sich sogar in Jerusalem und im heiligen Lande, wird groß und zahlreich in allen Landen, und der Heiden selige Zeit nimmt ihren Verlauf. Es ist ja am Tage, meine lieben Brüder, und die Geschichte beweist es ja, daß es gerade so, nicht anders geschehen ist: der Heidenchrist ist allenthalben Erbe, der Judenchrist geht mit dem Juden in die Wüste, in die Zerstreuung, in’s Verderben.

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 Wenn in der Welt etwas zusammenpaßt, so ist es die Geschichte Isaaks und des Heidenchristentums, die Geschichte Ismaels und des Judenchristentums. Wenn St. Paulus diese Geschichten nach menschlicher Weisheit gewählt und sie mit der Herrlichkeit seiner Deutung angefüllt hätte, so würde man rühmen und preisen müßen, wie gut das Gleichnis gefunden, wie paßend alles ausgelegt sei. Aber würde denn irgend ein Judenchrist dadurch geheilt werden, irgend einer eine andere Ueberzeugung deshalb bekommen, weil der heilige Paulus so witzig und klug wäre in Auffindung von Aehnlichkeiten? Wer wird durch Aehnlichkeiten bezwungen? Würde sich St. Paulus, ein solcher Mann, auch nur die Möglichkeit gedacht haben, die Galater, denen er so viele andere Gründe zur Widerlegung seiner Gegner geschrieben hat, durch dergleichen menschliche Meinungen von ihrem Irrtum abzubringen? Eine solche Hoffnung konnte er nur haben, wenn ihn die Zuversicht beherrschte, in jener Deutung eine göttliche Offenbarung über den geheimen Sinn der alten Geschichten von Isaak und Ismael zu veröffentlichen. Wenn seine Seele von der Deutung als einer göttlichen durchdrungen ist, dann mag er es auch wagen, von andern die Anerkennung zu fordern, dann müßen auch andere seine Zuversicht inne werden und die Beweiskraft seiner Reden erkennen; dann kann er hoffen, mit diesem Beweise durchzudringen, je mehr seine ganze übrige Amtsführung und sein gesammtes Leben Vertrauen erheischt und Ehrerbietung

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/211&oldid=- (Version vom 1.8.2018)