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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Glanze ihre Seele erfüllt hätte. Je reiner das Herz, desto gewißer besitzt es die Gerechtigkeit des Glaubens. Aber allerdings auch, je offener, je sehender das Auge, desto klarer erkennt es seinen Schatz. Desgleichen je lichter, weiser, je wohlwollender, je liebreicher der Mensch, der Seelenhirte, desto mehr erklärt, bewährt, preist und predigt er den geliebten Brüdern die theure Lehre St. Pauli, den Trost der Heidenchristen, die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und dem Glauben zugerechnet wird. Wer könnte, wer wollte auch von dieser laßen? Ich Heidenchrist, ich Prediger für Heidenchristen kann es nicht und will es nimmermehr. Mein gut Gewißen ist ein sanftes Ruhekißen im Leben und Sterben; aber mein Gewißen ist nicht das Bewußtsein meiner Werke, sondern die Gewisheit, daß mir das Blut JEsu Christi des Sohnes Gottes meine Seele gereinigt hat von allen todten Werken. Zu demselben guten Gewißen berufe, ermahne, locke und lade ich auch euch, ihr Heidenchristen, und verspreche euch Heil und Frieden, Freude und Stärke von demselben Blute Christi und der Erkenntnis der Gerechtigkeit, die alle unsre Väter selig gemacht hat, so viele ihrer selig geworden sind. Davon reden wir so Gott will noch mehr, wenn wir die Epistel des nächsten Sonntags mit einander betrachten. Diese Woche aber laßt uns fröhlich dahin gehen und dem HErrn dafür ohne Unterlaß danken, daß wir Isaak nach Kinder der Verheißung geworden sind. Amen.




Am Sonntage Judica.

Ebräer 9, 11–15.
11. Christus aber ist gekommen, daß er sei ein Hoherpriester der zukünftigen Güter, durch eine größere und vollkommnere Hütte, die nicht mit der Hand gemacht ist, das ist, die nicht also gebauet ist; 12. Auch nicht durch der Böcke oder Kälber Blut, sondern Er ist durch Sein eigenes Blut einmal in das Heilige eingegangen, und hat eine ewige Erlösung gefunden. 13. Denn, so der Ochsen und der Böcke Blut, und die Asche von der Kuh gesprenget, heiliget die Unreinen zu der leiblichen Reinigkeit; 14. Wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst ohne allen Wandel durch den heiligen Geist Gotte geopfert hat, unser Gewißen reinigen von den todten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott. 15. Und darum ist Er auch ein Mittler des neuen Testaments, auf daß durch den Tod, so geschehen ist zur Erlösung von den Uebertretungen, die unter dem ersten Testament waren, die, so berufen sind, das verheißene ewige Erbe empfahen.

 DEr heutige Sonntag trägt vorzugsweise den Namen „Passionssonntag“, nicht bloß wegen der großen Nähe an der Osterwoche, sondern wohl auch deshalb, weil nun allmählich das Gedächtnis der Leiden Christi so sehr die Geister beherrscht, daß es auch am Sonntag die Seele nicht verläßt, und daß selbst die Wahl der Sonntagstexte von dem Andenken an JEsu Leiden regiert wird. Das heutige Evangelium, aus Joh. 8, 46–49 genommen, handelt von der unsträflichen und untadelichen Würde des Verhaltens JEsu. Majestätisch steht Er, das reinste Bewußtsein und eine himmlische Zuversicht regiert Ihn; aber Er steht mitten unter Seinen Feinden, Sein Wort säht nicht, Seine strahlende Unschuld weckt nur mörderischen Haß, und der Haß ist so groß, daß die Juden Steine ergreifen, um sie gegen Ihn zu werfen. Doch war Seine Stunde noch nicht gekommen, und Er war nicht für die Steinigung, sondern für’s Kreuz bestimmt; darum verbarg Er sich vor ihnen und strich mitten durch sie hin. Hier sehen wir also den HErrn nicht bloß in der Leidensnähe, sondern in schweren Leiden Seines Lebens mitten inne, die Ihm weißagen können, was endlich kommen wird. So wie nun das Evangelium ganz vom Gedanken

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/213&oldid=- (Version vom 1.8.2018)