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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Christus in ein ewiges Heiligtum denken müßen. Zwar wißen wir ja wohl, daß es auch unter den Christen gar viele gibt, die es wie eine Art von Beschränktheit und Aberglauben ansehen, es „fleischlich und irdisch gesinnt“ nennen, wenn man in allem Ernste von einer Hütte und einem Tempel der Ewigkeit redet, die es auch durchaus verwerfen, wenn man Stellen des neuen Testamentes, die davon reden, anders als geistlich, wenn man sie wörtlich nimmt, wie sie stehen. Allein wenn doch die irdischen Dinge nur Vorbilder der ewigen sind, und uns der HErr in jener Welt von ihnen die wesenhaften und unvergänglichen Urbilder zeigen will, wenn Er uns von den ewigen Dingen erzählt in Ausdrücken und Worten, die gar keine geistliche Deutung zulaßen, entweder gerade das meinen, was sie sagen, oder überhaupt nichts Klares und Deutliches offenbaren; wie soll man sich da gegen die Worte wehren, die geschrieben sind? So sagt unser Text: „Christus sei ein Hohepriester der zukünftigen Güter durch eine größere und vollkommnere Hütte, die nicht mit der Hand gemacht ist, das ist, die nicht also gebauet ist.“ Diese Worte sagen gewis, daß die ewige Hütte, der ewige Tempel vollkommner, nicht von Händen gemacht und nicht gebaut ist, wie der Bau des Alten Testamentes, nicht von Holz und Steinen; aber von einer ewigen Hütte reden sie doch. Ist sie vollkommener als die Hütte, die beim Sinai gemacht ist, so wird sie doch durch die Vollkommenheit nicht etwas anderes, sie hört nicht auf, eine Hütte zu sein, und sei sie auch immerhin nicht desselben Baues, wie die Hütte Aarons und Mosis, übertrifft sie diesen Bau, wie überhaupt die Ewigkeit die Zeit, und der Himmel die Erde übertrifft, so ist damit doch nicht gesagt, daß alle Aehnlichkeit zwischen beiden aufgehoben sein soll, daß das Vorbild dem Urbild nicht gleich sei, daß in jener Welt etwa bloß Ideen und Gedanken herrschen, wie allenfalls in dieser die Bilder und Vorbilder. Im Gegentheil, es wird durch den Ausdruck und die Worte, die gebraucht sind, die Seele belehrt, daß es in der Ewigkeit einen Ort, und im Himmel einen durch Gottes eigene Meisterhand auferbauten Tempel gebe, der an Wesenheit alle hiesigen Vorbilder übertrifft. Das, meine lieben Brüder, ist innerhalb der Kirche Gegenstand verschiedener Richtungen geworden. Während die einen in der Ewigkeit keinerlei Art von Leiblichkeit haben wollen, finden es die andern als überaus schön und herrlich, ja geradezu für das Herrlichste, was uns über die Ewigkeit offenbart wird, daß es dort eine Leiblichkeit gibt, – und während die erste Richtung der Leiblichkeit und Form gar keinen Werth beilegen will, behaupten die andern, daß die Apostel ihre Worte nicht anders könnten gemeint als gesagt haben, und daß daher die größten Lehrer, die es jemals außer Christo unter der Sonne gab, geirrt haben müßten, wenn es in der Ewigkeit keine Leiblichkeit gäbe. Es mag ein jeder Christ sich auf eine oder die andere Seite entscheiden, wie er es für das Gerathenste hält, immerhin aber wird es denen, die ihre geistlichen Deutungen, Auffaßungen und Ansichten in jede Bibelstelle hineinzutragen sich erkühnen, schwer werden, mit den einfachen und realen Worten der Apostel fertig zu werden. –

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 Daß Christus ein Hoherpriester der zukünftigen Güter sei und Seines Amtes in einem ewigen Tempel walte, in einer größeren und vollkommneren Hütte als die alttestamentliche Hütte des Vorbilds war, ist bereits Vers 11 erklärt. Ist Er aber ein Hoherpriester, waltet Er Seines Amtes in einem Tempel; soll Er kraft desselben Güter zu Wege bringen; so muß Er auch ein hohenpriesterliches Mittel haben. Der Hohepriester des Alten Testamentes gebrauchte vorbildlich das Blut der Böcke und Kälber, mit welchem er in das Heiligtum eingieng. Dem ewigen Hohenpriester aber ziemt ein anderes Mittel der Entsühnung derer, für welche Er Hoherpriester ist; dies Mittel aber ist Sein eigenes Blut. Er ist der Hohepriester der Welt und ist auch das Opfer für die Welt, Sein Altar, der Brandaltar der ganzen Welt, steht auf Erden und heißt Golgatha, die Hütte aber, in welche Er eingeht nach vollbrachtem Opfer, steht im Himmel. Das Opfer geschieht in dieser Welt, der Ort, wo Er es geltend macht, wie der Hohenpriester des Alten Testamentes auch seine Opfer im Heiligtume des Alten Testamentes geltend machen mußte, ist in jener Welt. Es fragt sich nun, wohin man den Eingang JEsu in’s ewige Heiligtum und die Geltendmachung oder Eintragung Seines Blutes in die ewige Hütte der Zeit nach zu stellen habe. So wie im Tempeldienst des Alten Testamentes zwischen dem Opfer und der Geltendmachung desselben durch Eintragung des Blutes in’s Heiligtum ein

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/215&oldid=- (Version vom 1.8.2018)