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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Unterschied war; so ist im Ebräerbriefe ein Unterschied gemacht zwischen dem hohenpriesterlichen Opfer JEsu auf Golgatha und dem Eingang in’s Heiligtum des Himmels mit Seinem Blute. Das Opfer ist Ein Mal geschehen; Christus hat mit Einem Opfer in Ewigkeit vollendet Alle, die geheiligt werden. Ebenso ist Er nur einmal eingegangen ins Heiligtum mit Seinem eigenen Blute und hat damit eine ewige Erlösung und Sühnung der Seinen gefunden. Die Besprengung der Seinen mit Seinem Blute, die Anwendung desselben auf die Einzelnen und ihre einzelnen Sünden und Zustände geschieht zu millionen Malen, seitdem der HErr eingegangen ist. Sein Eingang selbst aber ist Einer und die Geltendmachung Seines Blutes am Tage des Eingangs vor Gott dem HErrn hat ewige Folgen. Ein für allemal wird Ihm in Kraft Seines hohenpriesterlichen Opfers und Eingangs die Macht gegeben, die erworbene Sühnung und Erlösung auf Alle, die bei Ihm Zuflucht nehmen, in allen Zeiten und Ewigkeiten anzuwenden. Es fragt sich hier an dieser Stelle nur, in welche Zeit der Eingang des HErrn selbst zu setzen ist. Bei der in der Schrift begründeten Scheidung zwischen Opfer und Eingang können wir wohl kaum anders, als den Himmelfahrtstag als Tag des Eingangs nehmen. Wie der HErr an diesem Tage Sein ewiges Königtum antritt, so trägt Er an demselben Sein Blut in’s himmlische Heiligtum und beginnt dortselbst Seine hohenpriesterliche Thätigkeit, lebt immerdar und bittet für uns in der Kraft Seines redenden Blutes, dem wunderbarer Weise nach Ebr. 12, 24. in der ewigen Stadt seine besondere Stelle gesichert bleibt.

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 Man kann bei den letzten Worten die Frage aufwerfen, ob man sich denn wirklich das Blut JEsu Christi gewißermaßen leiblich in die Ewigkeit denken müße, so wie man sich den Leib des HErrn JEsus in die Ewigkeit denken muß, oder ob die Ausdrücke der heiligen Schrift, deren buchstäbliche Auffaßung eine solche Deutung begründen könnte, der Absicht des Apostels nach nur auf die Wirkung des Blutes oder des Opfertodes zu beziehen sei. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Beantwortung des ersten Theils unsrer Frage mit „Ja“, für die Auslegung der heiligen Schrift eine folgenreiche ist. Wenn es Lehre der heiligen Schrift ist, daß Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht sehen sollen, so ist es offenbar, daß diese Lehre nur von dem sterblichen Fleische reden kann, denn es gibt ja auferstandene, für die Ewigkeit bestimmte Leiber, und der Leib unseres HErrn JEsu Christi des Auferstandenen insonderheit ist ebensowohl ein wahrhaftiger Leib, als ein Leib, der das Reich Gottes sieht, ja sogar mit im Regimente dieses Reiches sitzt. Und wie nun dem Leibe selbst eine ewige Währung zuzuschreiben ist, so scheinen sich auch die heiligen Schriftsteller, wenn sie von dem Blute JEsu Christi reden, keineswegs allein auf Kraft und Wirkung des Blutes zu beziehen, sondern auch auf das Blut selbst, und demselben ein Dasein und eine Wirksamkeit in der Ewigkeit zuzuschreiben. So ist ja in unserer Stelle das Blut des ewigen Hohenpriesters bei Seinem Eingang in die ewige Hütte als Sühnungsmittel nicht in Seinem verklärten Leib, sondern wenn man so sagen darf, in Seine Hand zu denken. Er geht Ein Mal ein in das Heilige durch Sein eignes Blut; da ist der Eingang des Leibes und das Blut, welches hinein getragen wird in das Heiligtum, von einander getrennt und geschieden dargestellt. Ebenso ist es in der bereits erwähnten, berühmten Stelle aus dem zwölften Kapitel des Ebräerbriefes, in welcher von dem 22. Verse an das himmlische Jerusalem beschrieben wird. Da findet man die Myriaden Engel, die lobpreisende Versammlung und Kirche der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind, Gott den Richter über alle, und die Geister der vollendeten Gerechten, dazu den Mittler des Neuen Testamentes, „JEsum, und das Blut der Besprengung, das beßer redet denn Abels Blut“. Man findet also den Mittler und Sein Blut, das Blut aber überdies bezeichnet als Blut der Besprengung, also gesondert vom Leibe, von dem leibhaftigen Erlöser und Mittler selbst als Besprengungs- und Sühnungsmittel gebraucht, so daß man sich des Gedankens nicht erwehren kann, es werde dem Versöhnblut des Erlösers ein besonderes Dasein und andauerndes Wirken in der ewigen Gottesstadt zugeschrieben. Der selige Probst Albrecht Bengel verbreitet sich einmal in seinem berühmten Gnomon über den Artikel vom Blute Christi, faßt zusammen, was die Schrift darüber in sich hält, und eröffnet dadurch in dem Leser eine Menge Gedanken, die in der Kirche gerade nicht herkömmlich und allgemein verbreitet gefunden werden, aber groß und wichtig genug sind, um Nachdenken zu erregen und den Gedanken

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/216&oldid=- (Version vom 1.8.2018)