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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zu erwecken, der einem auch sonst so oft beim Lesen der heiligen Schrift kommt, daß uns die Ewigkeit viele Dinge offenbaren wird, von denen wir keine Vorstellung hatten, sowie daß in derselben die Leiblichkeit sich in einem Glanze, in einer Verklärung, aber auch in einer Wesenheit und Wirklichkeit enthüllen wird, von welcher am allerwenigsten diejenigen etwas ahnen können, denen die gesammte Ewigkeit zu einem puren Reiche der Gedanken zusammenschmilzt. Wir wenden den Blick von diesem Gegenstande, um weiter zu gehen und die Wirkung des Blutes JEsu zu betrachten, nachdem wir uns den Hohenpriester, die ewige Hütte, den Eingang des HErrn JEsus in dieselbe und das Blut vor Augen gestellt haben, durch welches uns eine ewige Erlösung zu Theil wird.

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 Der Hohepriester des Alten Testamentes trug nicht bloß das Blut des Versöhnopfers in den Tempel, sondern er wendete dasselbe auch auf die Opfernden an. Für sittliche Uebertretungen der zehn Gebote gab es im Alten Testamente nur Strafe, kein Versöhnen; alle Opfer bezogen sich bloß auf Uebertretung der gottesdienstlichen Gebote, auf sogenannte levitische Reinigkeit und Unreinigkeit. Dagegen aber bedarf ja der Mensch am allermeisten der Beruhigung für die Sünden, durch welche er Gottes Gebote im inneren oder äußeren Leben übertrat, und es muß daher, wenn ihm zeitlich und ewig wahrhaft wohl werden soll, eine Versöhnung und ein Sühnmittel für diese Sünden geben; die Gewißen müßen gereinigt werden von dem todten Werk, damit der Mensch Gott seinem HErrn dienen könne. Und diese Beruhigung und Reinigung geschieht nun eben durch die Anwendung des Blutes JEsu auf die Seele des Sünders. Deßwegen sagt der Apostel in unserm Texte: „So der Ochsen und der Böcke Blut und die Asche von der Kuh gesprenget heiligte die Unreinen zu der leiblichen Reinigkeit; wie viel mehr wird das Blut Christi, der Sich Selbst ohne allen Wandel, durch den heiligen Geist Gotte geopfert hat, unser Gewißen reinigen von den todten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott.“ Da das Blut JEsu Christi das Blut des einigen, untadelichen, im heiligen Geiste dargebrachten Opfers ist, also ein wahrhaftiges, ja das allein wahrhaftige Opferblut, so darf der Mensch desselben nur theilhaft werden, um Beruhigung zu erlangen. Ist durch dies Blut eine ewige Erlösung zu Wege gebracht, ist es im Himmel vorhanden und redet beßeres denn Abels Blut, wird im Himmel Friede vom HErrn für den Sünder durch dasselbe erlangt, warum sollte es dann nicht auch das unruhige Herz eines armen Sünders auf Erden zufrieden stellen können? Das Sühnmittel, welches so außerordentlich im Himmel wirkt, muß die geringere Wirkung auf Erden hervorbringen können, wenn Gott es auf Erden will wirken laßen. Daß Er aber will, kann keinem Zweifel unterliegen, weil ja gerade das der göttliche Sinn des Vorbildes ist, gerade deswegen das Blut der alttestamentlichen Opfer gegen Gott hin und auf den Opfernden gesprengt wurde, daß angedeutet würde, ein und dasselbige Mittel wirke bei Gott den Frieden gegen den Sünder und ebenso Frieden im Herzen des Sünders auf Erden. Es handelt sich daher nur darum, daß uns gezeigt werde, wo und wie das neutestamentliche Bundesblut auf uns angewendet werde. St. Johannes sagt: „Das Blut JEsu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde.“ Wo geschieht nun das und wie? Man könnte darauf sagen: der Sünder könne sich selber der Kraft des Blutes JEsu Christi theilhaftig machen, wenn er sich nur gläubig und betend zu Gott und dem ewigen Hohenpriester wende; so oft der Mensch im Glauben es begehre, gehe nach Gottes Willen die Kraft des Blutes aus und suche das Herz heim. Oder man könnte sagen: die ewige Erlösung sei nun einmal gefunden, wer im Glauben bete, der nehme eben damit seinen Antheil aus dem unermeßlichen Schatze. Allein das scheint denn doch nicht der volle Sinn der vorhandenen biblischen Stellen und des Vorbildes zu sein. Man hätte ja auch bei den Reinigungsmitteln des Alten Testamentes sagen können, es sei völlig genug, daß sie in’s Heiligtum getragen werden, es bedürfe keiner besondern Anwendung desselben auf den Opfernden, derselbe brauche sich nur der Eintragung der Reinigungsmittel in’s Heiligtum ganz einfach zu getrösten. Dennoch findet es sich anders, und es ist eine besondere Anwendung und Zutheilung der Reinigungsmittel auf und an den Opfernden befohlen. Man wird daher auch schließen müßen, daß im Neuen Testamente das Blut JEsu Christi, des Sohnes Gottes, dem gläubigen Sünder auf eine besondere Weise werde mitgetheilt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/217&oldid=- (Version vom 1.8.2018)