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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

vor, Trennung nach der Sintfluth, kein einheitliches, dem HErrn einmüthig dienendes menschliches Geschlecht. Dazu war die Trennung, die Gott selbst schuf, indem er sein Volk gegenüber allen Völkern erweckte, so offenbar und kenntlich sein eigner Wille, daß viele Juden in derselbigen schon ein Gericht sahen, den Heiden alle Hoffnung abschnitten und das Heil allein sich selbst, den Juden zueigneten. Damit aber hatten sie den Sinn ihres Gottes nicht getroffen, das hatte er nicht gemeint, so hatte ers weder vorausgesehen noch gefügt. Er gab seinem Eigentumsvolke Verheißungen, die allerdings bis ans Ende der Welt reichen sollten, aber deshalb sollten weder alle Israeliten selig, noch alle Heiden verloren werden, sondern er wollte die Glieder der Braut seines Sohnes, die Glieder der heiligen Kirche, aus allen Völkern sammeln und seinen ewigen Tempel aus Steinen von allen Weltgegenden zusammenbringen, wenn auch gleich dem gläubigen Israel im Reiche der ewigen Seligkeit seine eigene, herrliche, der übrigen seligen Menschheit voranleuchtende Stellung gesichert bleiben sollte. Da öffnet sich uns nun ein Blick in die Bereitung der Braut, oder der Kirche Gottes. Die Trennung, die Gott gemacht hat zwischen Israel und den Heiden, soll keine ewige Trennung sein, sie hört auf. Gott hat auf eine Zeit lang eine Trennung gesetzt, um darnach eine Vereinigung desto sicherer zu erreichen, und wenn auch immer der größere Teil der Menschheit getrennt bleiben und verloren gehen wird, so wird doch die selige Menschheit am Ende der Tage und in der Ewigkeit in der Zusammensetzung ihrer Glieder ein Beweis sein, wie wenig der HErr selbst die Trennung wollte, und wie sein Geist der Einigung zum entgegengesetzten Ziele strebte. Das ist es, was unser Text mit den Worten sagt: „JEsus Christus ist ein Diener gewesen der Beschneidung,“ d. h. des Volkes Israels, „um der Wahrheit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen; die Heiden aber loben Gott um der Barmherzigkeit willen.“ V. 8. 9.

 Allerdings will der Apostel in unserm Texte mit diesen Worten zunächst nichts anders, als das großartigste und nachahmungswürdigste Beispiel der Geduld und geduldigen Arbeit nach einem Ziele hin aufstellen. Der große Diener der Beschneidung und der Vorhaut, Israels und der Heiden, hat sich das schwerste vorgesetzt: die Juden selig zu machen nach der Verheißung um der Wahrheit Gottes willen, die Heiden aber nach Barmherzigkeit, aus beiden eins, einen neuen heiligen Menschen für die Ewigkeit zu machen, und allen Zaun und Hindernis im Himmel und auf Erden wegzuschaffen durch Seine blutenden Hände. Ja, ja, da gibt es zu arbeiten, zu dulden, zu überwinden; hier muß eine Geduld der Liebe und eine Beständigkeit des segensreichen Vorsatzes obwalten, daran die Römer und wir lernen können, wie man geringere Liebesaufgaben geduldig und langmüthig leisten soll. Aber indem der Apostel diese seine nächste Absicht, ein mächtigziehendes Beispiel der Geduld aufzustellen, zu erreichen sucht, gibt er uns doch eben damit, wie ich gesagt habe, für die Adventszeit zugleich einen Blick, in die Bereitung der Braut. Christus ist ein Diener der Beschneidung und in der That auch ein Diener der Heiden; denn wenn er sein und seines Vaters Wort durch die Erlösung der Beschnittenen löst, ist er gewis nicht mehr ein Diener der Beschneidung, als er ein Diener der Vorhaut ist, wenn er, ohne durch sein Wort verpflichtet zu sein, und die Wahrheit desselben retten zu müßen, die Heiden durch sein theures Blut erlöst. Christus heißt also und ist für Juden und Heiden ein Diakonos, ein Diener. Die einzige Stelle, in der Er von Seinen Aposteln ein Diener genannt wird, entsprechend jenen andern, da Er sich selbst einen Diener der Seinen nennt! Zum Zwecke der Vereinigung beider, der Juden und der Heiden, zur Herstellung der heiligen Vereinigung der erwählten Menschen aus allen Völkern, ist er ein Diener, ein Diener seines Vaters, ja ein Arbeiter und arbeitender Knecht, der sichs im Laufe der Zeiten weh sein und sauer werden läßt, wenn man so sagen darf, bis er sein Ziel erreicht hat, bis zu Stande gekommen ist der seligste Liebesgedanke des Dreieinigen, aus aller Menschen Geschlechtern eine ewige Kirche zu sammeln.

 Unser Text zeigt uns, wie gesagt, die Bereitung der Braut oder der Kirche, er zeigt uns aber auch dies Werk in seinem Fortschritt bis ans Ende, bis zum vollkommenen seligen Gelingen. Er enthält vier Stellen des alten Testamentes, die im Allgemeinen denselben Inhalt haben, von der Vereinigung der Juden und Heiden zu einer Kirche reden, mit einander verglichen aber einen Fortschritt und Stufengang des großen Werks enthüllen. Die erste Stelle aus dem

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 015. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)