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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

18. Ps., V. 50 heißt: „Ich will Dich loben unter den Völkern und Deinem Namen singen.“ Da sieht man den Erlöser der Welt nach Seinem prophetischen Amte unter den Völkern thätig, wie er die großen Thaten Gottes unter den Völkern verkündet, den HErrn lobt und Seinem Namen singt. Er ist, ein Diener aller Völker, mitten unter ihnen thätig, und singt ihnen sein Lied. Die zweite Stelle, genommen aus 5. Mose 32, 43. gibt den Völkern die Erlaubnis, sich des Evangeliums anzunehmen gleicher Weise, wie die Juden. „Freut euch, ihr Heidenvölker mit Seinem Volke.“ Da sehen wir also vorausgesetzt, daß das Volk Israel den Lobgesang seines Messias freudenvoll aufnehmen werde, und ausgesprochen, daß die Antwort Israels auf den Gesang des Messias in seiner Mitte, das freudenvolle Responsorium des Glaubens aus Zion volltönig werden darf und soll durch Hinzufügung des Jubels aller erlösten Heiden und Völker. Und was diese zweite Stelle wie dem Anfang nach zeigt, das zeigt die dritte, nämlich der 117. Psalm im schwellenden Fortgang. Da erscheint nicht mehr die zweigeteilte Welt „Israel und Heiden“ in werdender Verbindung; da hört man große Waßer rauschen; vereinigt zu einer großen Schaar, erscheinen die Auserwählten aller Völker, und in ihnen die Völker selber, mächtig rauscht das große Confitemini: „Lobet den HErrn alle Heiden und preiset Ihn alle Völker.“ So ist ein Fortschritt im Werk, und er ersteigt in der zuletzt angeführten Stelle aus Jesaja 11, 10 den höchsten Gipfel. Der lobsingende Messias, dessen Sang die volltönige Antwort gefunden, setzt die Krone auf, und wird zum herrschenden Messias; Jesus von Nazareth, der Juden König, erscheint als angebeteter Herrscher und Zuversicht aller Völker. „Es wird sein die Wurzel Jesse, und der sich erheben wird zu herrschen über die Heiden, auf Ihn werden die Heiden hoffen.“ Der Diener JEsus ist nun der König JEsus, sitzt auf dem Stuhle Davids, und herrscht von einem Meer bis zum andern, und bis an der Welt Ende. Ist das nicht, meine lieben Brüder, eine Offenbarung über den Gang der ganzen Geschichte der Kirche, oder wenn ihr lieber wollt, der Welt? Denn es gibt ja keine eigne Weltgeschichte, die Geschichte der Welt geht auf in der Geschichte der Kirche JEsu. Sieht man da nicht die Fülle der Heiden eingehen, und am Ende Israel verklärt werden, indem unter ihm die Wurzel Jesse aufschießt zum Baume, der alle Völker beschattet, und der König aufsteht, der alle Völker einigt. Wer die Weißagung kennt und glaubt, wer sich unter das Wort der Propheten und Apostel beugt, die einmüthig von einer Wiedergeburt des Volkes Israel, und einer seligen Kirche JEsu Christi aus den Juden Zeugnis geben, der kann hier nichts andres finden, als den Trost der letzten Zeit, er sieht klar, wie Christus am Ende, am Ende der gegenwärtigen Weltperiode und am Ende der Welt selber unter den Stürmen des Antichristus und zuletzt des Teufels Sein Reich aufrichten, Seine Feinde bezwingen, Sein Ziel erringen wird, und Seine aus Gliedern aller Völker zusammengebrachte, durch Seinen Geist im tiefsten Innern vereinigte Kirche und Braut aus der Welt retten, und dem Vater darstellen wird. Und das ist ja doch gerade die liebliche Seite vom Ende, die hohe, heilige Melodie mitten unter dem brausenden Untergang der Welt, die Hoffnung der Wiederkunft JEsu Christi in ihrer fröhlichsten Ansicht. Denn was hilft es, wenn die Welt verbrennt und untergeht, und der Richter mit den Wolken kommt, wenn er nur kommt, um zu richten, zu verdammen, zu verderben; heißt seine Wiederkunft deshalb die Hoffnung der Kirche, weil alles untergeht, gerichtet und verdammt wird, oder deshalb, weil er die Seinen rettet und die Kirche Recht behält gegenüber allen ihren Feinden? Singt man deshalb dem HErrn tausend mal tausend Hosianna, und freut sich auf Seine zweite Zukunft mehr als auf die erste, weil er mit dem Stabe seines Mundes den Antichristus tödet, und am Schluß der letzten Weltperiode den Teufel und seinen Anhang verderbt, oder geschieht es, weil man des Bräutigams fröhliches Angesicht und die Hilfe des mächtigsten Helfers in Aussicht hat, weil ihm Alles gelingt und eben damit den Seinen? Ich denke, die Antwort ist leicht und auch das ist mir kein Zweifel, daß ihr nun erkennet, wie in unsrem Texte der Advent des HErrn in der lieblichsten Weise gemalt, und der ewige Hirte aller Völker, unter den Lobgesängen der wunderbar gesammelten und vereinigten Kirche dargestellt wird.

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 Wenn ich mir, meine lieben Brüder, die gewaltigen Verschiedenheiten der Völker und Nationen

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 016. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)