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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

weiß, wer spricht, und ordnet sich dem Geiste Gottes unter, der über Bitten und Verstehen redet, wie uns über Bitten und Verstehen gegeben wird. – Weit eher könnte (und das wäre die zweite Bemerkung) ein anderes Wort der Erzählung Pauli Bedenken erregen, das nemlich, wo der Apostel den Ausdruck gebraucht: „Das ist Mein Leib, der für euch gebrochen wird“. Da bei der Kreuzigung und Hinrichtung JEsu Gottes Hand über Seinem Leibe wachte, daß Ihm kein Bein zerbrochen wurde, so kann der Apostel mit seinen Worten nicht das Gegentheil sagen wollen. Wenn aber das ist, so ist hier einer der Fälle gegeben, in denen ein Ausdruck buchstäblich gar nicht genommen werden kann, so daß man gezwungen ist, eine figürliche Deutung anzunehmen. Da bleibt uns denn nichts übrig, als zu denken: der HErr habe Sich beim Gebrauch der Worte, die Paulus mitgetheilt wurden, an den Brauch des, Brotbrechens angeschloßen und habe denselben auf Seinen Leib, der ja für uns ein Himmelsbrot ist, angewendet. Unter dem Ausdruck „Brotbrechen“ aber kann ein Doppeltes verstanden werden, je nachdem man auf die Handlung des Brotbrechens an und für sich sieht, oder auf die Absicht, die man beim Brotbrechen hat. An und für sich liegt in dem Ausdruck „Brotbrechen“ nichts anderes als das Zerbrechen ausgesprochen, und wie ein zerbrochenes Brot aufhört, ein Brot zu sein, so könnte der Ausdruck: „Mein Leib, der für euch gebrochen wird“, vielleicht auch weiter nichts bedeuten, als: „Mein Leib, der getödtet wird“. Man kann aber bei dem Ausdruck: „der für euch gebrochen wird“, auch an die Absicht denken, die man beim Brotbrechen hat, nemlich an die Mittheilung oder Austheilung, die dadurch möglich wird. Wenn mehrere Ein Brot genießen sollen, so kann dies auf keine andre Weise geschehen, als durch Brechen. Nach dieser Deutung könnte also der Apostel sagen wollen: Im Abendmahle sei der Leib Christi, der für uns, das ist: uns zum Besten, ausgetheilt werde. Würde man nicht das Wörtchen: „für uns“ und seine Deutung für die letztere Erklärung etwas unbequem finden, so würde man sie für näherliegend nehmen können, als die erstere. Um dieses Wörtchens willen aber neigt man sich vielleicht doch lieber zu jener Erklärung, wenn man nicht etwa beiderlei Deutung vereinigen, in dem Ausdruck „brechen“ eine Anspielung auf den Tod des Leibes und zugleich auf die Mittheilung erkennen, und alsdann die Worte „für euch“ bloß zur ersten Deutung ziehen will. Sollte irgend wer unter euch den Ausdruck „brechen“ bei allem, was wir sagten, nicht wohl faßen können, der rechne ihn zu den vielen andern deutungsfähigen Ausdrücken der heiligen Schrift, über welche uns allein die Ewigkeit völlige Klarheit und Gewisheit geben kann, freue sich auf den Unterricht jener Welt und halte sich einstweilen an den Ausdruck der heiligen Evangelisten, bei welchen der HErr, der ohne Zweifel die Worte der Austheilung während des Genußes der Jünger mehrfach und mit den kleinen Verschiedenheiten, die wir vorfinden, wiederholt hat, den Ausdruck gebraucht: „Das ist Mein Leib, der für euch gegeben wird“.

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 Was den Gebrauch des heiligen Abendmahles betrifft, so will der HErr nach Erzählung des Apostels Paulus, daß wir es zu Seinem Andenken nehmen sollen; das Andenken JEsu aber legt uns der heilige Paulus in den Worten aus: „So oft ihr dies Brot eßet und den Kelch trinket, sollt ihr des HErrn Tod verkündigen, bis daß Er kommt“. Daß die letzteren Worte das Gedächtnis JEsu auslegen, nicht etwas anderes und neues bringen, beweist zu Anfang des 26. Verses das Wörtchen „denn“. „Solches thut, so oft ihr trinket, zu Meinem Gedächtnis“, sagt Christus, und St. Paulus fährt erläuternd fort: „denn, so oft ihr eßet und trinket, sollt ihr des HErrn Tod verkünden, bis daß Er kommt“. Das Gedächtnis JEsu im heiligen Abendmahl ist also kein bloßes Andenken an den HErrn JEsus im Allgemeinen, sondern ein Andenken an Seinen Tod, an die Hingabe Seines Leibes und an die Vergießung Seines Blutes zu der heiligen Absicht, welche Er gehabt hat. Dabei kann es nicht die Meinung sein, daß wir im heiligen Abendmahl den Heiden den Tod Christi verkündigen sollen, welche zum Abendmahle gar nicht zugezogen werden, sondern es ist von einer Verkündigung der Gläubigen unter einander die Rede, von einer gegenseitigen Erinnerung an das von Christo dargebrachte Opfer, von einer Erinnerung, die thatsächlich geschieht, durch das gemeinschaftliche Eßen und Trinken des Leibes und Blutes JEsu. Es ist keine Rede davon, daß wir im Abendmahl ein Opfer bringen, sondern wir empfangen die heilige Opfermahlzeit. Auch kann man

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/232&oldid=- (Version vom 1.8.2018)