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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

kaum sagen, daß wir Gott an das Opfer JEsu erinnern, da wir vielmehr uns einander selbst erinnern und unsern Glauben an dasselbe reizen. Hier ist eine Opfermahlzeit, welche wir seliglich genießen, aber kein Opfer; wir müßten denn die Danksagung, die wir Christo nach beim heiligen Mahle gebrauchen sollen, für ein Dankopfer erkennen und das Abendmahl in diesem Sinne ein Opfer nennen wollen, wie man ihm ja auch von einem andern Theile der heiligen Handlung den Namen „Brotbrechen“ gegeben hat.

 Ein Genuß der höchsten Güter und die Verkündigung des Opfers JEsu innerhalb der Gemeine ist also das heilige Mahl, – gewis ein Mahl ohne Gleichen, ein göttliches, himmlisches, alles Verdienst JEsu Christi in Seinem Leibe und Blute mittheilendes, zur ernstesten Feier des für uns geschehenen Opfers und Leidens ermahnendes Mahl.

 Ein solches Mahl muß auch auf eine würdige Weise genommen werden. So wie du bei einem jeden Mahl, zu dem du geladen wirst, die Person des Gastgebers und die Absicht der Mahlzeit ansiehst, und je nach Befund beim Mahle erscheinst, deine Stimmung, deine Geberde, deine Kleidung darnach einrichtest, auf daß du einem jeden die Ehre gebest, die ihm gebührt; so mußt du auch beim Mahle des allerhöchsten HErrn Desselben würdig erscheinen. Die Corinther bekamen den Tadel des Apostels Paulus, weil sie angefangen hatten, des HErren Mahl nicht mehr von einer gewöhnlichen Mahlzeit zu unterscheiden, weil sie bei der mit der himmlischen Mahlzeit verbundenen Agape oder Liebesmahlzeit die Armen beschämten, darben und zusehen ließen, wie sie selbst auf’s beste aßen und tranken. Beim Abendmahle des HErrn wurden sie einander alle gleich, beim Liebesmahle aber machten sie bösen Unterschied, verleugneten sie Barmherzigkeit, Liebe und Achtung gegen die Brüder. Das nennt der Apostel ein unwürdiges Eßen und Trinken. Er wollte damit keineswegs sagen, daß man nicht auch auf tausend andere Weise das Abendmahl unwürdig genießen könne, sondern er strafte nun eben gerade diejenige unwürdige Weise, welche bei der corinthischen Gemeinde vorkam, und wollte nach dem 28. Vers ausdrücklich haben, daß sich ein jeder Christ vor dem Genuße prüfen solle, ob er nicht irgendwie unwürdig genieße. Das sei auch euch gesagt, meine lieben Brüder und Schwestern. Herz und Wandel der communicirenden Gemeinde entspreche der hohen und heiligen Würde des Mahles, und das um so mehr, weil ein unwürdiges Eßen und Trinken Folgen hat und Strafen nach sich zieht.

 Wer unwürdig das Brot ißet oder den Kelch des HErrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blute des HErrn, versteht sich, nicht etwa in jenem allgemeinen Sinn, in welchem wir alle mit unsern Sünden geholfen haben den Leib annageln und das Blut vergießen: wozu bedürfte das auch hier besonders hervorgehoben zu werden? Nein, wer unwürdig ißt und trinkt, der wird schuldig, der versündigt sich, an dem verklärten Leibe und Blute, welches im Abendmahle ausgetheilt wird, der tastet aller Welt Labung und Arznei an und verunehrt die Leiblichkeit Christi, die uns der Vater zum höchsten Segen darreichen will. Ein solcher Mensch ißt und trinkt sich ein Gericht. Wer frech genug ist, dies Mahl von andern Mahlzeiten nicht zu unterscheiden und so unbedacht und unbesonnen, so leichtsinnig und frevelig herzunaht, als gienge er zu einer gewöhnlichen Mahlzeit, der wird seiner Strafe nicht entgehen, seinem Gerichte nicht entfliehen, und wenn dies Gericht auch nicht die ewige Verdammnis ist, sondern nach Vers 32 von derselben unterschieden, und gerade dazu ausgeübt wird, auf daß wir nicht mit der Welt verdammt werden; so bleibt die Sache doch immer noch ernsthaft genug, und was der HErr zur Züchtigung wegen unwürdigen Abendmahlsgenußes über uns verhängt, das ist immerhin so groß und bedeutungsvoll, daß wir alle Ursache haben, uns zu prüfen und die unbesonnene, träge, unehrerbietige Weise unsrer Abendmahlsgänge abzuschaffen. Zwar wird uns in unserm Texte nicht gesagt, was alles unter dem Gericht zu verstehen sei, mit welchem der HErr den unwürdigen Abendmahlsgenuß belegt, aber es werden uns sehr ernste warnende Beispiele und Proben des Gerichtes offenbart, wenn der Apostel Vers 30 sagt: „Darum sind auch so viel Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Theil schlafen“. Also hat man eine Ursache, für viele leibliche Schwachheit und Krankheit und manchen frühzeitigen Tod den Grund und Anfang beim Altare zu suchen, da wo es niemand vermuthet, und es kann also die Speise und der Trank, welche den Menschen zu einer ewigen Genesung Seines Leibes tüchtig machen, im umgekehrten Fall auch

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/233&oldid=- (Version vom 1.8.2018)