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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

so gewis die Kirche selbst eine österliche, eine Abendmahlsgemeinde ist, bis daß Er kommt.

 Dabei, meine Brüder, ist noch Eins hervorzuheben, was ich bis jetzt nur vorausgesetzt und bis hieher aufgespart habe. An wen wendet sich die Rede des Apostels im fünften Kapitel des ersten Briefes an die Corinther? Wer soll Zucht üben, den alten Sauerteig ausfegen, die Bösen hinausthun, im Süßteig der Lauterkeit und Wahrheit Ostern halten? Ist es etwa bloß zu den corinthischen Pfarrern gesagt: werden die allein zur Ausübung der Zucht überhaupt und der Abendmahlszucht insonderheit verpflichtet? So wenig als Sich Christus Matth. 18 in Seinem Zuchtbefehl bloß an die Pfarrer wendet. Allen Christen ist die Zucht, auch die Abendmahlszucht zugemuthet; die ganzen Gemeinden sind dafür verantwortlich: Zucht ist die notwendige Aeußerung der Bruderliebe; wo keine Zucht ist, ist genau genommen auch keine Bruderliebe, kein wahrer und echter Zusammenhang der Gemeinde, kein Band der Vollkommenheit, kein überzeugender Beweis, daß sich die Gemeinde für eine Familie Gottes, für eine zusammengehörige und zusammenhangende Heerde Christi erkennt. Es ist auch wirklich ganz unmöglich, Zucht im Segen zu üben, so lange die Gemeinden es nicht als Gemeindepflicht, jeder Einzelne als seine unverbrüchliche Pflicht der Bruderliebe erkennt, aus allen Kräften mitzuhelfen. Was für eine Unerfahrenheit, welch’ unstatthaftes Verlangen, daß die Pfarrer allein Zucht üben, Zucht halten sollen! Der Pfarrer ist ein Gemeindeglied, ein hervorragendes, wie nicht zu leugnen, überdies mit besonderer Verantwortung des Amtes belastet: gewis hat er das Seine zur Zucht und deren Uebung beizutragen; aber auch nur das Seine. Denn er ist und bleibt doch immerhin nur einer, ein Bruder, ein Gemeindeglied, von dem man nicht Arbeit und Liebesübung fordern kann, wie sie nur die Gemeinden in ihrer Vollzahl leisten und gewähren können; der sich auch nimmermehr solche – Verantwortung, solch unerträgliche und unmögliche Last kann und wird aufhalsen laßen.


 Wie steht es nun aber mit dem Gehorsam gegen den Zuchtbefehl Christi und Seiner Apostel? Wir könnten diese Frage auch auf die römische, griechische, reformirte, unirte Kirche ausdehnen, und ich glaube, im Allgemeinen würden wir von allen Seiten her dieselbe betrübende und niederschlagende Antwort bekommen. Allein wir wollen nur auf unsre eigne, die lutherische Kirche schauen: wie steht es da? Wir werden zwar einen Unterschied machen müßen zwischen den Landeskirchen, in welchen der Mensch seine Confession mehr durch die Verhältnisse, kaum durch Erziehung, am wenigsten durch eigne Prüfung und Entscheidung bekommt, und zwischen denjenigen Gemeinden, welche in Preußen, Nassau, Baden, Hamburg und Nordamerika durch eigne Entscheidung für die Bekenntnisse unsrer lutherischen Väter in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Bei den letzteren findet man mehr oder minder auch einen größeren Ernst rücksichtlich der Zucht, wiewohl auch da nach dem eigenen Zeugnis der jenen Gemeinden vorstehenden Hirten gar vieles zu wünschen übrig bleibt. In den Landeskirchen hingegen, auf deren Gebieten sich unchristliche, ungläubige, unsittliche Menschen zu Tausenden, wenn man nicht sagen will „zu Millionen“ finden: da steht es schlecht. Zwar die alten Kirchenordnungen dieser Gemeinden reden von Zucht, namentlich von Abendmahlszucht. Aber es erweist sich schon aus der gegenwärtigen Beschaffenheit der Landeskirchen, daß schon längst der Gehorsam gegen die Kirchenordnungen aufgehört haben muß, auch wo und so weit er früher da war: woher kämen denn sonst die Tausende und Millionen von ungläubigen, unchristlichen, weltlichen Menschen, die nicht etwa insgeheim, sondern mit ganz offenbarem Hervortreten und unverholener Herzensgesinnung das Reich der Kirche eingenommen haben? Die Zucht, zumal die, welche und wie sie von dem HErrn und Seinen Aposteln befohlen ist, hat längst aufgehört, es ist keine da; oder soll man die letzten Spuren der entschwundenen, oder die ersten Zeichen einer vielleicht sich wieder regenden Zucht recht hoch anrechnen, wie es die Eigenliebe mancher jetzt lebenden Christen verlangt, nun, so können wir sagen: es ist fast keine da. Hie und da steht vielleicht ein einsamer Pfarrer, vielleicht von einigen Kirchenvorstehern in einem gewissen Maße unterstützt: er versucht es, das Seine zu thun, – vielleicht mit Zittern und Zagen: in welchem Geruch steht dann ein solcher Held? Kein Mensch sagt von

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/243&oldid=- (Version vom 1.8.2018)