Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/246

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

den Splitter entschuldige, daß nicht in Hochmuth das Werk der brüderlichsten Demuth ersterbe.

 Und wenn ihr also Glauben und gut Gewißen bewahret, dann steht nicht wie Schächer in den Gemeinden, gebt nicht mehr feig und zappelnd, wie das böse Gewißen, unter dem unschlachtigen Geschlecht, – auch nicht wie selbstgerechte, übermüthige Tyrannen, die sich pharisäisch über andre erheben: meidet beides, Verzagtheit und Uebermuth – bittet aber Gott um demuthsvollen Muth, Zucht und Heiligung, Religion und Wahrheit unter euren Nachbarn zu bekennen, zu vertreten, das Böse anzugreifen, das Gute zu fördern, nach Beßerung der Gemeinden mit aller Macht zu ringen. Nicht die Rotte der Gottlosen hat das Recht in den Gemeinden: das werde ihnen nun auch einmal bekannt, ihr elend Recht werde bestritten – und die Christen, die Beßeren in den Gemeinden, sollen es wagen zu sein, was sie sind, Priester des Allerhöchsten, welche die Tugenden Des, der sie berufen hat von der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht, mit kühnem Wort und heller That bekennen. – Auf diesem Wege gibt es Leiden, wer weiß, welche. Aber es gibt keinen andern, die Gemeinden, so wie sie sind, zum Guten aufzurufen. Die Stimme des Predigers ist zu einsam: so laßt nun Gottes Drommeten in Haufen blasen und Jericho’s Mauern fallen. Getrost den Leidensweg der Liebe gegangen, meine Brüder! „Haßet das Arge, hanget dem Guten an“ vermahnt die Schrift unsre Seelen. Wohlan! Laßt uns Protest gegen alles Böse einlegen: laßt uns ausdauern in Vertheidigung des Guten, – und laßt uns anhalten am Gebet und Flehen, daß unser treues Thun und Meinen gesegnet sei, unsre Fehler der heiligen Absicht, für die wir leben, nicht hinderlich seien, und unsre in Gott gethanen Werke durch des HErrn Blut gereinigt und durch Seinen Geist gesegnet seien für die Welt und für die Kirche.

 Das Leben geht hin, bald ist es verraucht: ist es gar dahin – so sind wir reich und groß, wenn wir selig sind, und wir haben nicht umsonst gelebt, wenn wir unter dem unschlachtigen Geschlechte unsrer Gemeinden Wahrheit und Recht, Glauben und Heiligung gelehrt, empfohlen, so viel an uns lag, vertheidigt und aufrecht gehalten haben.

 Diese meine Rede, welche ich nach dem Liebesberuf Eures ehrwürdigen Herrn Pfarrers unter Euch gehalten habe – in der Eintracht mit ihm, nehmet freundlich auf. Der HErr aber laße meine Worte gesegnet sein. Auf Ihn und Seinen Segen harre ich. Nicht leer laß, o HErr, was an dieser meiner Rede richtig ist, zurückkommen. Ach gib, daß es thue, wozu es gesprochen ist! Amen.




II.

Am Abend des ersten Ostertages.

1858.
1. Cor. 5, 6–8.

 WEr, meine lieben Brüder, von euch allen, hat schon einen großen Wendepunkt seines eignen Lebens erfahren – und hernach vergeßen? Der Tag des ersten Abendmahlsgenußes fällt bei uns in eine sehr frühe Zeit des Lebens; wie viele Dinge folgen hernach, die ganz geeignet sind, den frühen Eindruck zu verwischen und in Vergeßenheit zu bringen; dennoch, wer vergißt seinen ersten Abendmahlstag? Und wer vergißt seinen Hochzeittag, den Todestag seiner Eltern, und alle hervorragenden Tage seines Lebens? Wenn nun aber niemand die Wendepunkte seines Lebens vergißt, wie viel mehr werden sich solche Tage unverwüstlich der Erinnerung einprägen, die zugleich für uns und für andre, oder gar für uns und die ganze Welt große, folgenreiche Wendepunkte geworden sind. Diese Schlüße, meine Lieben, sind mir immer gekommen, so oft ich die Behauptung hörte, daß die ersten Christen keine Feste gefeiert hätten. Ich habe

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/246&oldid=- (Version vom 1.8.2018)