Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/247

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

es nie geglaubt und nie glauben können, weil es mir so unnatürlich, so gar nicht zur Einfalt des heiligen Lebens zu paßen schien, welches die heiligen Apostel hatten und das von ihnen auf die ersten Gemeinden übergieng. Im Gegentheil scheint es mir fast über den Zweifel erhaben zu sein, daß die großen Dinge, welche der HErr an Ostern und Pfingsten unter den Seinen gethan hat, sich in jedem wiederkehrenden Jahre in der Erinnerung der Christen erneuern mußten, festlich und feierlich erneuern mußten, auch wenn sich dazu weiter kein Anlaß gefunden hätte. Nun kam aber dazu noch ein andrer Umstand, der nemlich, daß die judenchristlichen Gemeinden sich durch das Christentum von ihrem alten gottesdienstlichen Leben keineswegs so losgetrennt fühlten, daß sie für die von Jugend auf gewohnten Festfeiern gar keinen Sinn mehr gehabt hätten. Die großen Thaten der Erlösung und Heiligung der Welt trafen ja so genau mit jüdischen Festen zusammen, daß man sogar auf den Gedanken kommen konnte, Gott selbst, dem alle Seine Werke bewußt sind vom Anfang der Welt her, habe die alttestamentlichen Feste gerade für die Zeiten angeordnet, an welchen Er nach Seinem ewigen Rathe die großen Thaten der Erlösung und Heiligung vollbringen wollte. So trifft ja mit dem jüdischen Passahfeste der Tod und die Auferstehung JEsu Christi, mit dem jüdischen Pfingstfeste die Ausgießung des heiligen Geistes zusammen, und die alt gewohnten Feiertage bekamen für den Judenchristen nur eine neue, höhere Bedeutung mehr. Daraus schon geht hervor, daß auch die erste christliche Zeit ihre Feste werde gefeiert haben. Wir finden aber auch in der heiligen Schrift die bestimmten Spuren davon. Im 16. Kapitel unseres Textesbriefes, welcher in das Jahr 57 n. Chr. zu setzen sein wird, schreibt St. Paulus V. 8: Er wolle in Ephesus bis Pfingsten bleiben. Auch lesen wir Ap.-Gesch. 18, 21 und 20, 16, daß der Apostel in Jerusalem im Jahr 58 habe Pfingsten feiern wollen. So feierte also der Apostel Paulus Pfingsten, und zwar nicht bloß in Jerusalem, der judenchristlichen Muttergemeinde, sondern auch in der heidenchristlichen Gemeinde Ephesus. Kann man da zweifeln, daß er auch seine heidenchristlichen Gemeinden zur Pfingstfeier werde angeleitet haben? Und kann man sich denken, daß er, der große, von allem Judaismus freie Lehrer der Heiden, mit diesen ein jüdisches Pfingsten werde gefeiert haben: wird nicht die christliche Heilsthat das Hervorstechendste der Feier gewesen sein? Wenn er sie aber angeleitet hat, Pfingsten zu feiern, wird er sie nicht angeleitet haben, auch Ostern zu feiern? Die Antwort wird wohl aus Ap.-Gesch. 20, 6 mit ziemlicher Klarheit zu nehmen sein. Da schreibt nemlich St. Lucas: „Wir aber schifften nach den Tagen der süßen Brote von Philippi ab.“ Also feierte der Apostel mit Lucas zu Philippi in Macedonien das Fest der süßen Brote, und zwar in einer heidenchristlichen Gemeinde. Man könnte zwar allerdings sagen, es könne hier eben so gut angenommen werden, daß der Ausdruck: „nach dem Fest der süßen Brote“, bloß zur Zeitbestimmung diene. Allein warum dann gerade diese Weise der Zeitbestimmung, zumal in der Apostelgeschichte, von der man doch nicht einmal sagen kann, daß sie im Interesse der Judenchristen geschrieben sei? Die Apostelgeschichte ist offenbar in heidenchristlichem Sinne geschrieben. Wenn aber das, wozu dann die jüdische, den Heidenchristen ferne liegende Zeitbestimmung, wenn diese nicht zugleich zu einer christlichen geworden ist? Hier treten wir nun unserm Texte näher. Aus Kap. 16 unsres Textesbriefes muß man wohl schließen, daß der erste Brief an die Korinther kurz vor der österlichen Zeit geschrieben ist. Bemerkt man aber diese Zeit des Briefes, so werden unsre Textesverse, namentlich V. 7 und 8, kaum anders zu verstehen sein, als eine Ermunterung zur Osterfeier, nicht zur jüdischen, sondern zu einer christlichen, welche von der jüdischen unterschieden wird. Oder was soll es denn heißen, wenn St. Paulus schreibt: „Christus, unser Passah, ist für uns geschlachtet; so laßt uns nun Fest feiern, so laßt uns Ostern halten nicht im alten Sauerteige?“ Was sollen diese, was sollen alle andern Beziehungen auf das alttestamentliche Osterfest, wenn es kein neutestamentliches Osterfest gibt? Wenn man auch sagen wollte, die neutestamentliche Passahfeier sei eine immerwährende, unser Passah sei am Charfreitag geschlachtet und das neutestamentliche Osterlammseßen dauere eben so lange, als die Verkündigung des Todes Christi dauern solle, nemlich bis der HErr kommt, so ist mit aller Wahrheit, welche sich darinnen ausspricht, doch der Ausdruck: laßt uns Fest feiern, noch nicht erklärt, der eben doch

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/247&oldid=- (Version vom 1.8.2018)