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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Und doch ist es nicht einmal das, was ich sagen will, das gerade mein ich nicht.

 Ich denke nicht an den Richter als solchen, ich sehe heute den Gerichtstag und seine Freuden als einen Erfolg der Geduld und Arbeit Christi an. Wenn er kommen wird mit viel tausend Heiligen, zu Hilfe den bedrängten Christen, die dann leben werden, zur Vertilgung des Antichristus, oder wenn er an dem allerletzten Tage alle die Seinen um sich her sammeln wird und so viel Millionen Leiber und Seelen aus dem Untergang der Welt gerettet stehen werden, wenn Sein Auge freudenvoll auf sie gerichtet sein wird und ihre Augen wonnevoll und anbetend an Ihm hangen werden: so wird das die Frucht Seiner Geduld sein. Er ist nicht blos deswegen berühmt im Himmel und auf Erden, weil Er das Lämmlein Gottes unschuldig ist, das für uns in unaussprechlicher Geduld die Sünden trug: sondern Er wird auch hoch gerühmt und ewig gepriesen um der Geduld willen, vermöge welcher er nun 1800 Jahre lang Seine Schafe aus allen Völkern zusammenträgt und zu ihrer Reinigung und Vereinigung durch seinen Geist und Amt arbeitet. Seine Geduld ist so groß und Seine Langmuth so stark, daß viele sie gar nicht mehr für Geduld und Langmuth achten, sie gar nicht mehr sehen, nicht mehr erkennen, sondern viel eher von dem Gedanken geplagt und angefochten werden, entweder er laße alle gehen, wie sie wollen, und kümmere sich nicht um sie, oder es sei vielleicht mit Ihm selber ein Mährchen. Wenn Er darein schlüge, wenn Er Feuer vom Himmel fallen ließe, wenn Er die Sünde der Seinen so recht kenntlich und deutlich strafen würde, auf die That alsbald die Strafe folgte: dann, ja dann würden auch blöde, blinde Augen sehen und erkennen, daß Er lebt. Scheu und Schrecken, so denkt man wenigstens, würden dann die Menschen beßer machen. Aber diese Geduld, die sich durch so viele Jahrhunderte, ja bald Jahrtausende hindurch erstreckt, diese Langmuth, wie es scheint, ohne Ende, sie als Zeichen des lebendigen Gottes und Christus zu erkennen, erfordert scharfe Augen, großen Glauben, reine Herzen. Und doch ist der HErr ein Gott der Geduld, und wie Er durch Sein geduldiges Leiden die Welt erlöste, so heiligt Er die Welt durch Sein geduldiges Tragen, durch Seine geduldige Arbeit, durch Sein tagtägliches Vergeben, und die Schaaren um Seinen Thron, die Menge derer, die Er zu Priestern und Königen macht, sie würden allzumal ohne diese ausdauernde Geduld des himmlischen Seelsorgers durchaus nicht in Seinem Lichte stehen, nicht ein einziger würde gewonnen sein ohne die himmlische Geduld und Langmuth unsres HErrn. Und so hängt die Hoffnung der Kirche Gottes, der Heiden und Juden, an der Geduld Christi, der Leute aus allen Zonen und Ländern und Zeiten mit unermüdlichem Fleiße zusammenbringt, zusammenordnet und bereitet für Seine ewige Kirche. Das kann man in der That nicht überlegen, ohne daß man selber Lust und Muth zur Geduld gewinnt. Der Blick aufs Ende, der uns die ewige Herrlichkeit der Kirche als eine Frucht der Geduld Christi zeigt, muß tausendfach die Gewalt ausüben, die sonst der Blick auf ein gutes Beispiel auf willige Menschen auszuüben pflegt. Es kann kein Beispiel geben, wie das Beispiel Christi; es gibt keinen Erfolg, wie den Erfolg des HErrn. Wirkt ein Beispiel und der Segen irgend eines Beispiels, so muß das Beispiel wirken, von dem wir reden, und sein großer Segen.

 Dazu kommt ja noch ein anderer Umstand. Die Kirche der Ewigkeit, wie sie am jüngsten Tage geoffenbart werden wird, ist eine Frucht der Geduld und geduldigen seelsorgerischen Liebesarbeit Christi. Aber wirkt denn Christus alleine, hat er keine Mitarbeiter? hilft ihm niemand, und nimmt Er die Hilfe niemands an? Nach dem Zeugnis der heiligen Schrift hat er, unser Gott und HErr, menschliche Mitarbeiter; er will nicht ohne Seine Heiligen auf Erden arbeiten, im Gegenteil, alle Seine heiligen Wirkungen und Werke will er unter dem Lobe, dem Danke, dem Gebet und der Mitarbeit der Seinen vollbringen, und vollbringt sie auch nicht anders. Seine Kirche auf Erden und die Gemeinschaft Seiner Heiligen in allen Landen ist nichts anders, als ein heiliger Verein von Seelen, die nach dem Vorgang des geduldigen Lammes Gottes und Erzhirten alle ihre Zeit und Kraft daran geben, daß er Seine Absicht erreiche, Seine Kirche sammle und heilige. Wenn irgend einer die Hoffnung der Kirche nicht in Geduld erstreben, nicht in Geduld und guten Werken nach dem ewigen Leben ringen will, so hindert er an seinem Teil die Zukunft des Reiches Gottes und die heilige Absicht JEsu. Der HErr wird dann andere an seiner Stelle in das Werk Seiner Geduld einstellen, aber der Ungeduldige, Verzagte,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 018. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/25&oldid=- (Version vom 1.8.2018)