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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

an mir, nicht an dem Texte, sondern allein an den Umständen und am Zustand der Gemeinden. Der Himmel ist voll österlicher Freude, die Tische zum Passahmahle sind alle gedeckt, aller Ueberfluß ist vorhanden, es könnten Millionen satt werden und eßen, es könnte ein Osterjubel, ein Passahgesang, ein Freudenton in der Welt sein, der alle Heiden wecken und fröhlich machen könnte, aber es ist nicht so, weil allenthalben die furchtbarste Zuchtlosigkeit herrscht, und am Ende gar von denen vertheidigt wird, die sich vielmehr der Sünden schämen und bekennen sollten, was für eine große Mitschuld auch sie an diesem Verderben tragen.

 Als Jerusalem bereits belagert war, lief ein Mann, Jesus, Anani Sohn, wie wahnwitzig in der Stadt und auf ihren Mauern herum und rief ohn Unterlaß: „Wehe, wehe Jerusalem!“ Man suchte ihn zu stillen mit guten und mit bösen Worten und mit Strafen, aber er blieb seinem Weheruf getreu, bis ihn ein feindliches Wurfgeschoß unterbrach, und er mit den Worten niedersank: „wehe auch mir!“ So ist es bei uns. Wehe Jerusalem, wehe auch mir, ist der Ruf. Wehe dem Ganzen der Kirche, wehe den einzelnen Gliedern, wehe allen. Der Teig ist versäuert, der Sauerteig droht den wenigen guten Teig vollends zu verschlingen, alles ist sauer, schier nichts paßt zum Osterlamm. Da helfe uns der einige Helfer und verleihe uns, daß wir hoffen, wo nach Menschen Ansicht nichts zu hoffen steht. Er verleihe uns ein fröhliches Auferstehungsfest Seiner Kirche, und laße noch einmal Seine Todten wieder leben, und die Kinder Seiner Kirche grünen, wie die Oelzweige um Seinen Tisch her. Amen.



Am Ostermontage.

Apostelgesch. 10, 34–41.
34. Petrus aber that seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansiehet; 25. Sondern in allerlei Volk, wer Ihn fürchtet und recht thut, der ist Ihm angenehm. 36. Ihr wißet wohl von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israel gesandt hat, und verkündigen laßen den Frieden Gottes (welcher ist ein Herr über alles), 37. Die durch das ganze jüdische Land geschehen ist, und angegangen in Galiläa, nach der Taufe, die Johannes predigte: 38. Wie Gott denselbigen JEsum von Nazareth gesalbet hat mit dem heiligen Geist und Kraft; der umher gezogen ist, und hat wohl gethan und gesund gemacht alle, die vom Teufel überwältiget waren, denn Gott war mit Ihm. 39. Und wir sind Zeugen alles deß, das Er gethan hat im jüdischen Lande und zu Jerusalem. Den haben sie getödtet und an ein Holz gehänget. 40. Denselbigen hat Gott auferwecket am dritten Tage, und Ihn laßen offenbar werden, 41. Nicht allem Volk, sondern uns den vorerwählten Zeugen von Gott, die wir mit Ihm gegeßen und getrunken haben, nachdem Er auferstanden ist von den Todten.

 IM heutigen Evangelium sehen wir den Auferstandenen selbst, den größten Prediger der Auferstehung, unter Seinen Jüngern wandeln und hören Ihn reden von der Nothwendigkeit Seiner Leiden und von der Herrlichkeit, in welche Er durch Leiden eingegangen ist. Dem Evangelium völlig entsprechend tritt in der sogenannten epistolischen Lection der Vorredner und Anführer der Apostel, der heilige Petrus, auf und predigt von den Leiden und von der Auferstehung Christi. So predigt also neben dem HErrn selbst Sein großer, hoher Apostel über ein und dasselbe Thema und von dem gleichen Gegenstande, und wird uns also hiemit gezeigt, welches Thema der HErr nach Seiner Auferstehung als das nöthigste und seligste selbst vorgelegt hat und hat vorlegen laßen. Doch nicht allein deshalb paßen die beiden Texte zusammen,

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/251&oldid=- (Version vom 1.8.2018)