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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sondern sie bilden mit einander zwei Stationen eines und desselbigen Weges der Wahrheit zu einem Ziele. Der Weg der Wahrheit geht von Zion bis an die Enden der Erde, führt das Licht zuerst den Juden, darnach den Heiden zu. Da predigt nun im Evangelium Christus den Juden, in der Epistel aber Petrus den ersten Heiden Kreuz und Auferstehung des Erlösers, Buße und Vergebung der Sünden. Es ist also vom Evangelium zur Epistel gewißermaßen eine perspektivische Aussicht von Zion durch Judäa und Samaria hindurch bis zu den fernen Heiden. Damit wird uns gezeigt, wie die österliche Botschaft und die Ehre Gottes alle Lande erfüllen soll, und wie das Licht des Osterlamms keine Grenze kennen soll, soweit die Wolken gehen. – Dabei ist es auch der Mühe werth, darauf aufmerksam zu machen, daß von Ostern bis Pfingsten eine und dieselbe freudenreiche Zeit ist; Ostern ist Ausgangs-, Pfingsten ist Endpunkt derselben. Diese Zusammengehörigkeit der Zeiten erweist sich auch in der epistolischen Wahl der beiden zweiten Feiertage an Ostern und Pfingsten. Die Texte für beide sind aus der Geschichte der Bekehrung des Cornelius, des Hauptmanns von Cäsarea genommen. Wo der österliche Text aufhört, schließt sich der Pfingsttext an; beide zusammen bilden eben sowohl ein Ganzes, als die Zeiten, für welche sie gewählt sind. Es ist also ein heiliger Fortschritt von Ostern bis Pfingsten und die Botschaft der Auferstehung hat die Ausgießung des heiligen Geistes im Gefolge. Den Weg dieses Fortschritts laßt uns auch in diesem Vortrag betreten, indem wir nun zunächst den österlichen Text ins Auge faßen und nach seiner Eigenthümlichkeit betrachten.

 Wenn wir den Inhalt unseres Textes übersehen und zwar im Zusammenhange mit den zwei ersten Versen der Epistel des zweiten Pfingsttages, so finden wir, daß derselbe vom ersten bis zum letzten Worte ein Ganzes bildet, eine Rede, welche ebenso sehr eine Antwort auf die Frage des Cornelius nach der Botschaft, die Gott durch Petrus ihm schicken wollte, als an und für sich ein abgerundeter Vortrag ist mit einem Eingang, welchen die augenblicklichen Verhältnisse an die Hand geben, mit einer historischen Darlegung der evangelischen Geschichte, die selbst wieder im 36. Verse wie in einem Thema zusammengefaßt ist und zuletzt mit einem kräftigen Schluß. Der Schluß jedoch, sowie vor demselben schon ein Vers, welcher den Uebergang von der Erzählung zum Schluße zu machen geeignet ist, gehören nicht zu dem heutigen Texte, der im Gegentheil, recht österlich, mit Erwähnung der Auferstehung abbricht. Der heutige Text für sich allein genommen besteht demnach aus dem Eingang der Rede Petri an Cornelius und die Seinen im 34. und 35. Vers, im Uebergang zur Erzählung im 36. Verse, und in der Erzählung des Lebenslaufes Christi selbst, von der Taufe Johannis bis zur Auferstehung.

 Ein Mensch, der seine Erbauung hauptsächlich in der Erregung des inneren Lebens findet und sich nie für erbaut halten kann, außer wenn dies sein inwendiges Leben einen neuen fühlbaren Zufluß empfangen hat, wird unsern Text zwar österlich finden, weil er mit der Auferstehung Christi und den vierzig Tagen nach der Auferstehung abschließt, aber er könnte doch auf den Gedanken kommen, daß der eigentliche Inhalt, ein dürftiger sei, – nur ein kurzer Ueberblick des Lebenslaufes JEsu. Allein es geht auch hier wieder, wie jener Kirchenvater sagte, daß Gottes Werke in den Augen der Menschenkinder dadurch den Werth verlieren, daß man sie beständig vor den Augen hat. Der Hauptmann Cornelius und die Seinen werden ein ganz anderes Urtheil über den Hauptinhalt der Rede Petri gehabt haben, als wir und unsers Gleichen durch die Gewohnheit abgestumpfte Leser. Auch Gott im Himmel selbst hat ein anderes Urtheil gehabt, sonst würde sich nicht mit der scheinbar dürftigen Predigt eine so gewaltige Bewegung der Gemüther und die Ausgießung der besonderen Gnadengaben des heiligen Geistes verbunden haben. Auch eine genauere und eingehendere Betrachtung des Textes selber kann von dem leichtsinnigen Urtheil abführen und zur rechten Ansicht unseres großen Textes leiten. Ich denke, wir versuchen es zuerst, die Hauptsache der Predigt Petri, die eigentliche Osterbotschaft darzulegen und dann den Eingang Petri für uns zum Schluße zu machen.

 Vor dem heiligen Petrus ist eine harrende Schaar versammelt, eine Schaar von Heiden, welche durch das wunderbare Erlebnis des Hauptmanns Cornelius zur höchsten Begier und Aufmerksamkeit für die Botschaft des Apostels Petrus erweckt waren. Cornelius selbst hatte sich mit der Lehre und der Hoffnung der

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/252&oldid=- (Version vom 1.8.2018)