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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

unseres Textes bilden, mit deren Betrachtung wir aber unsern heutigen Vortrag beschließen. „Nun erkenne ich in der Wahrheit, ruft er, daß bei Gott kein Ansehen der Person ist, sondern in allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht thut, der ist Ihm angenehm.“ Also jetzt hat es St. Petrus verstanden. Es ist kein Ansehen der Person bei Gott, Er zieht nicht die Juden den Heiden vor; Er hat zwar in vorigen Zeiten ein Volk auserwählt, welchem Er auch für die Zukunft besondere Gnaden vorbehalten hat, aber der Vorzug und die Gnaden beziehen sich nicht auf die Seligkeit und das ewige Leben, sondern auf andere Dinge in dieser und in jener Welt. Verloren sollen die Heiden so wenig werden, als die Juden. Die Seligkeit und das ewige Leben soll allen Menschen offen stehen, in Anbetracht ihrer soll es keinen Vorzug, kein Ansehen der Person geben; Unter allerlei Völkern soll Ihm für Seinen Himmel angenehm sein, wer irgend in denselben eingehen kann, er sei Jude oder Heide. Diese Erkenntnis war damals dem heiligen Petrus selbst noch neu; in unseren Zeiten und in der christlichen Kirche ist sie allgemein bekannt, so bekannt, daß sie fast misachtet wird, und angesehen, als verstünde sie sich von selbst. Es geht mit dieser Erkenntnis wie mit dem Inhalt der heutigen Predigt Petri, dem Lebenslaufe JEsu. Groß an sich selber, ungemein und außerordentlich, hat sie für uns Alle diese ihr angestammten Eigenschaften verloren; durch Gewöhnung ist uns das Wunderbare, das uns umgibt, alltäglich und gemein geworden. Es muß erst wieder durch Gottes Geist die Bewunderung, die dem Wunder geziemt, Dank und Anbetung, die es verdient, erweckt werden.

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 In den Worten des heiligen Petrus, daß Gott die Person nicht ansieht, liegt der Grund ausgesprochen, weshalb sich das Wort Gottes zu allen Völkern und Heiden wendet, und wir wißen, was für eine gewaltige Arbeit des Apostolates und der Missionen von Anfang her aus diesem Grunde und den damit übereinstimmenden Befehlen des HErrn JEsu hervorgegangen ist. Alle Völker werden berufen, eingeladen, immer aufs neue eingeladen, ermahnt, ja gebeten, gedrungen und genöthigt, sich mit Gott in Christo JEsu versöhnen zu laßen. Sie dürfen also nicht bloß selig werden, sondern sie sollen es; ja es geschieht dem Hirten im Himmel und Seinen Engeln besondere Freude mit jedem Schafe, das sich finden und zur Heerde tragen läßt. Bei dieser allgemeinen Berufung aller Völker, bei dieser Freude des ewig guten Hirten über jedes neu gefundene Schaf, aus welchem Schafstall oder Volke es auch sei, ist ein Theil des Inhalts der Worte des heiligen Petrus unvermuthet, und obwohl in ihm ein Fortschritt des allgemeinen Gedankens von der Seligkeit aller Völker liegt, so muß man sich doch erst wieder aufs neue ins Lernen und in die Schule begeben, um ihn richtig zu faßen und mit dem allgemeinen Gedanken zu vereinigen. St. Petrus sagt einerseits, bei Gott ist kein Ansehen der Person, und als Fortsetzung dieses Gedankens erwartet man nun nichts anderes, als den Satz: „Sondern alle Völker, Juden und Heiden sind Ihm angenehm.“ Das erwartet man nach dem Sinn der übrigen Schriftstellen, und der erwartete Satz ist ja auch ganz richtig. Anderntheils sagt nun aber der heilige Petrus doch nicht so; sein Nachsatz heißt bekanntlich: „Sondern in allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht thut, der ist Ihm angenehm“; angenehm, wozu? Zur Aufnahme in Seine allerheiligste Religion, in Seine Kirche und deren Seligkeit. Also will der HErr doch nicht die Völker ohne weiteres massenweise auf- und annehmen in Sein heiliges Reich, also macht Er doch einen Unterschied. Er ruft Alle, Er lädt, Er bittet, Er nöthigt alle zu kommen, aber angenehm ist, aufgenommen wird doch zunächst nur, wer Gott fürchtet und recht thut. Es soll also der blinde Heide, der arge Sünder nicht im unveränderten Zustand seiner Seele in das Christentum aufgenommen werden, auch nicht von Menschen, weil es von Gott selbst nicht geschieht. Es muß eine vorbereitende Arbeit des Wortes und Geistes an seinem Herzen geschehen sein. Gottesfurcht und ein Fleiß, eine treue Uebung in allerlei von Gott befohlenem Werke, in allerlei Gerechtigkeit, muß Zeugnis geben für die Redlichkeit eines Menschen, der nun zu Christo kommen will. Das sagt der heilige Petrus ganz offenbar und seine Worte sind völlig der Geschichte angemeßen, die sich vor seinen Augen und gewißermaßen unter seinen Händen ereignet. Cornelius gibt zu den Worten Petri ein so vollkommen geeignetes Beispiel, daß man fast sagen könnte, der Apostel habe mit seinen Worten nur Cornelium gemalt, er habe an diesem von Gott

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/256&oldid=- (Version vom 1.8.2018)