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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

genoß, so erscheint uns hier der HErr als ein Weggehender, als ein Auswanderer, als ein Gast und Fremdling auf Erden, der sich herrlich und mit Freuden zum ewigen Vaterland schwingt. Das ganze Evangelium macht nach Ton und Inhalt diesen Eindruck. Demselben würdig zur Seite steht die Epistel. Wer davon eine Ueberzeugung haben will, der erinnere sich nur wieder an jenen oft bemerkten Grundgedanken, nach welchem die Episteln den Evangelien beigeordnet zu sein pflegen. Neben dem Wandel Christi erzeigt sich der Wandel Seiner Braut, der Kirche. Erscheint nun der HErr als ein Gast und Fremdling, als ein Hinwegeilender, so erscheint neben Ihm in der Epistel die mit Ihm wegeilende Braut, die Kirche, die auf Erden keine Heimath hat, sondern ihrem Herzog und Bräutigam nach von dannen in eine beßere Heimath eilt. Wer das finden will, der darf nur den Anfang des ersten Textesverses lesen, in welchem der Apostel den Christen zuruft: „Lieben Brüder, ich ermahne euch als die Fremdlinge und Pilgrime.“ Die Christen haben hier keine bleibende Stadt, zur zukünftigen eilen sie, sie feiern auf Erden immerfort die österliche Zeit ihres Auszugs, Wegzugs und Heimzugs, und der Apostel gibt ihnen in unserm ganzen Texte Belehrung und Anweisung, wie sie der ewigen Heimath würdig als Fremdlinge und Pilgrime in der Welt wandeln sollen. Wollte man den Sinn des ganzen Textes in wenige Worte zusammenfaßen, oder in ein einziges Thema, so würde man sagen können: „Der Wandel des Christen in der Fremde und Pilgrimschaft dieser Welt wird vorgelegt.“ Damit aber, meine lieben Brüder, ist gewis zu gleicher Zeit ein paralleler, dem Evangelium getreuer österlicher und pfingstmäßiger Gedanke ausgesprochen. Laßet uns nun einmal sehen, wie der Apostel diesen Gedanken ins Einzelne führt und wie er das Leben der Pilgrime und Fremdlinge auf Erden gestaltet sehen will.

 Wenden wir uns nun zur Darlegung des Inhalts unseres Textes im Einzelnen, so müßen wir die einzelnen größeren Partien der hohen apostolischen Rede zuerst sondern und überschauen, bevor wir durch dieselben hin und gleichsam wie von Gemach zu Gemach des herrlichen Gebäudes mit einander wandeln können. Wir dürfen dabei auch diejenige Eingangsstelle nicht übergehen, die wir im Allgemeinen schon erkannt und uns zugeeignet haben, weil wir gerade in ihr den Grundgedanken und Grundton des Ganzen finden. So ergibt sich uns denn die folgende Uebersicht Unseres Textinhaltes:

 Zu allererst erkennen wir aus dem ersten Verse der Epistel, dem eilften des Kapitels, das Verhältnis des Christen zur Welt im Allgemeinen.

 Sodann zeigt sich uns der diesem Verhältnis entsprechende Wandel des Christen im Einzelnen:

in seiner Keuschheit,
in seinem Gehorsam,
in seiner Bescheidenheit,
in seiner Geduld.

 Endlich können wir uns aus den verschiedenen Versen des Textes Zweck und Segen des dargelegten heiligen Wandels zusammenstellen.

 Was das Verhältnis des Christen zur Welt anlangt, so ist es uns in den euch bereits bekannten Worten des ersten Verses: „Geliebte, ich ermahne euch als die Pilgrime und Fremdlinge“ einfach und klar vor die Augen gelegt. Eine solche Auswahl aus der Welt heraus, eine solche Scheidung von der Welt ist die Kirche Gottes, daß sie hienieden zu keinem Gefühle der Ansäßigkeit und der Heimath gelangen kann, sondern sich immerdar in der Fremde erkennt und immerzu einer andern ewigen Heimath entgegen strebt und entgegen eilt. Fremdling, Pilgrim, heimathlos auf Erden, voll Heimwehs und Verlangens nach dem himmlischen Vaterlande ist der Christ. Das scheint keinem Apostel lebendiger und eigener geworden zu sein, als dem heiligen Petrus, der schon im ersten Verse die Christen in Pontus, Galatien, Cappadocien, Asien und Bithynien als auserwählte Fremdlinge, als eine Diaspora, eine in der Zerstreuung lebende Schaar des HErrn JEsus anredet, und nun in unserem Texte zu dem Anfang der Epistel zurückkehrt, und alle seine apostolischen Ermahnungen den Christen als Pilgrimen und Fremdlingen gegeben haben will. Da straft sich denn wie von selbst jener behagliche, lebensfreudige, lebenssichere Sinn der meisten Christen, nach welchem ihnen die Welt keine lästige Nachbarschaft, das Leben in ihr als keine Last, im Gegentheil als ein Vorschmack der ewigen Freude und als ein Genuß erscheint, für welchen man allenfalls die Religion des HErrn JEsus wie eine Krone

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/274&oldid=- (Version vom 1.8.2018)