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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ansieht und wie das Beste unter all dem Guten. Welt und Kirche erscheint nach dem Sinne dieser Christen jetzt nicht mehr geschieden, sondern die Welt ist zur Kirche geworden, die Kirche hat die Welt überwunden, wohnt auf Erden nicht mehr als Fremdlingin und Pilgrimin, sondern feiert bereits einen Vorsabbath des ewigen Friedens auf Erden. Dieser Mangel an Gegensatz zwischen Welt und Kirche, dies behagliche Leben mitten in der Welt und die ungestörte Ruhe des Gewißens, welche man dabei genießt, stammt wohl großentheils aus jenen frühen Zeiten, in welchen die Völker aufhörten, die Gemeinde des HErrn zu verfolgen und die Staaten einen Bund mit der Kirche Gottes eingiengen, demgemäß sie selbst den Namen „christlich“ sich beilegten, die Kirchen aber zu einer Art von Staatsanstalten wurden. Seit 1500 Jahren ist die Kirche auf Erden so ansäßig und heimathsfroh geworden, und die lange Dauer dieser alten Verhältnisse hat den Christen schier allen Sinn für die Worte des heiligen Petrus von ihrer Fremdlingschaft und Pilgrimschaft genommen; wenigstens gibt man den Worten eine ganz andere Beziehung und deutet die Fremdlingschaft bloß dahin aus, daß man doch nicht immer auf Erden leben dürfe, sondern die ewigen Bleibstätten im Himmel für seine Heimath anzusehen habe, und das Leben im Vergleich zur Ewigkeit wie eine Pilgerfahrt gefaßt werden müße. Indes wird auch diese Zeit des Bündnisses zwischen den Staaten und Kirchen und der behaglichen Ruhe der Gemeinde JEsu auf Erden vielleicht bald vorübergehen, die Welt wieder mehr in den anfänglichen Gegensatz gegen die Kirche treten, der Kirche selbst aber die Schuppen von den Augen fallen, daß sie erkennen kann, was sie nie hätte vergeßen, noch verlernen sollen, daß sie hier auf Erden wirklich in der Fremde und deshalb im Gegensatz zu leben berufen sei, Frieden und Ruhe aber erst in jener Welt folgen könne. Glücklich derjenige, welchem der Schleier vom Auge schon unter den gegenwärtigen Verhältnissen genommen wird! Wenn ihn auch ein Schrecken überfällt über die annoch schier unvermeidlich und unlöslich gewordene Verbindung von Welt und Kirche, so wird doch der Sinn der Unterscheidung in ihm erwachen, und je schmerzlicher und weher es dem Fleische werden wird, wenn die Seele der Unterscheidung gemäß wird leben wollen, desto tiefer wird sich doch der Sinn der Fremdlingschaft einsenken und desto mehr wird sich die Seele als Hinwegeilende und Heimwärtspilgernde erkennen. Das aber, meine Freunde, ist jedenfalls schon für großes Glück zu halten. Denn wir sollen Fremdlinge sein in dieser Welt; es soll uns nicht durch die immerwährende Vermengung der Sinn für die Unterscheidung desjenigen abgestumpft werden, was Gott nicht verbunden hat. Auch sollen wir Pilgrime sein in dieser Welt, was wir nicht sein können, ohne daß wir uns fremde fühlen; es bricht ja niemand auf und eilt von hinnen, wenn es ihm heimathlich zu Muth ist, und er sich als bei den Seinigen erkennt. Darum wirke der HErr, der barmherzige Gott, durch den Geist der Wahrheit in uns allen das Bewußtsein, daß wir Fremdlinge sind, und die sehnsüchtige Freude der Pilgrime, die heimwärts eilen.

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 Sind wir nun einmal Fremde in der Welt, daheim aber nur dort, wohin unsere Pilgerfahrt geht; so werden wir uns auch gegen die Sitten der Fremde und gegen das Wesen dieser Welt wehren, Weltförmigkeit je länger je mehr haßen und meiden und unsrer heiligen Heimath würdig zu leben suchen. Wer die Heimath liebt, nimmt von der Fremde nichts an; wem es nirgends gefällt, als bei den Seinen, der eignet sich weder die Sprache und Denkweise, noch die Lebensart derjenigen an, von denen er hinweg trachtet und deren Geruch und Gerüchte in der Heimath niemand gefällt. Hier auf Erden gilt wohl das Sprichwort: „die Fremde macht Leute,“ und mancher Vater schickt seinen Sohn nur deshalb in die Fremde, daß er sich arten soll; für die Pilgrime aber, die heimwärts, das ist nach dem Himmel trachten, gilt ein anderes Gesetz. Bei einer irdischen Wanderschaft wünscht der Vater, daß sein Sohn die eigene Weise ablegen, die aber anderer Leute annehmen soll. Auf dem Himmelswege jedoch geht nur derjenige vorwärts, reift nur der zur Vollendung, der nichts annimmt von der Welt, sich von ihr rein erhält und völlig nach dem Sinne der eignen ewigen Heimath und seines dort versammelten Volkes lebt. Daher ruft auch St. Petrus den Fremdlingen und Pilgrimen zu: „Enthaltet euch von den fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten.“ Er fordert also zur Keuschheit auf, zur Keuschheit nicht bloß im Sinne des sechsten Gebotes, weil ja die fleischlichen Lüste nicht bloß wider das sechste Gebot angehen, sondern

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/275&oldid=- (Version vom 1.8.2018)