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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zu einer Keuschheit und Herzensreinigkeit in einem weiteren Sinn. Es ist allerdings eine fleischliche Lust, wenn jemand gegen das sechste Gebot gelüstet. Aber wie das sechste, so ist auch das siebente und das fünfte Gebot ein Trompetenstoß gegen fleischliche Lüste. Der Zorn, die Rache, der Diebstahl, der Betrug und wie viel andere Dinge noch außer diesen sind fleischlich und verbotene Lüste, auf welche sich unser Texteswort erstreckt. Sie haben auch alle miteinander das gemein, daß sie wider die Seele streiten, gegen sie und ihr wahres Wohlsein zu Felde liegen, in dem Maße, in welchem sie siegen, die Heiterkeit und Freudigkeit der Herzen zerstören, Finsternis über den Geist verbreiten, ihn zur ewigen Verdammnis vorbereiten. Ich weiß nicht, meine lieben Brüder, ob es euch geht wie mir; mir aber war je und je der Ausdruck merkwürdig und prägte sich tief meinem Gedächtnis ein: die fleischlichen Lüste streiten wider die Seele. Ich glaube, man braucht auch diesen Satz gar nicht zu beweisen; es werden ihm wohl alle Herzen beifallen müßen und auch beifallen, er beurkundet sich einem jeden als Wahrheit; selbst wenn man ihn zum erstenmale hört oder bedenkt, kann man ihm nicht widerstehen. Es ist richtig, daß man die Worte „wider die Seele streiten“ in einer mannigfachen Weise verstehen kann, aber wie man sie auch deute, man bleibt ihrethalben doch in einer großen Uebereinstimmung mit allen, alle verstehen doch im Grunde nichts anders darunter, als daß die Seele, das ist, ihr wahres Glück und das ihr von Gott zugedachte ihr geziemende heilige Leben durch Hegung und Pflegung weltlicher Lüste angenagt, wie angefreßen, im Innersten gestört und im Tiefsten verderbt wird. Wie soll dann der arme Pilgrim heimwandern, wenn sich in seinem Innern die Würmer dieser Welt eingenistet haben? Wo soll da die Freudigkeit herkommen und der Muth, an den ewigen Pforten der Heimath anzuklopfen und Einlaß zu begehren? So wie man sich nur diese Gedanken denkt, keimt und wächst einem die Ueberzeugung, daß Fremdlinge und Pilgrime Gottes vor allen Dingen das Herz von jeder Lust der Welt lostrennen und sich von alle dem abkehren müßen, was ihr Fleisch gelüstet. Mit dem innern Leben fängt der Apostel an, weil alles äußere Leben ohne das innere nichts als Schaale ist, und weil erst dann das äußere Leben recht aufgebaut werden kann, wenn es als ein Wiederschein des rechten innern Lebens sich darstellt. Der Fremdling und Pilgrim bewahre also zu allererst seine Seele und laße sie reinigen von aller bösen Lust.

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 Sofort wendet sich nun der Apostel zu dem Wandel, also dem öffentlichen Leben des Christen in der Welt. Herz und Begier der Seele soll von der Welt geschieden, der Geist des Menschen soll ganz und gar den Grundsätzen des himmlischen Reiches unterthänig sein. Was soll nun aber im äußeren Leben geschehen, in welchem es ja ganz unmöglich ist, die Berührung mit der Welt zu vermeiden, in deren Mitte alle Kinder Gottes wohnen? Die Kirche bewohnt ja nicht besondere, von der Welt abgeschiedene Lande, sondern obwohl sie innerlich nicht weltlich ist, lebt sie dennoch mitten in der Welt. Ein jeder Christ ist Christ durch Gottes Gnade, während er von Natur ein Sklave ist, oder ein Freier, ein Herrscher oder ein Unterthan, und viele äußere Verhältnisse seines Lebens ihm schon bei seiner Geburt von dem ewigen Schöpfer als Mitgabe beigelegt worden sind. Kommt er nun zur Erkenntnis und zur Gnade, wie soll er sich dann gegen seine angebornen ihm von Gott gefügten äußeren Verhältnisse stellen und benehmen? Dieselben gehören doch zum Wesen dieser Welt: soll er sich ihnen nun entziehen, gegen sie ausschlagen und sich ihrer auf jede Weise zu entledigen suchen; oder soll er es nicht? In Anbetracht eines zwiefachen Verhältnisses gibt unsere Epistel Antwort auf diese Frage; der Christ als Unterthan und als Sklave findet in derselbigen Unterricht und Weisung. Unterricht und Weisung aber liegt ganz einfach in dem Worte „Unterordnung, Gehorsam.“ Jedes Kind weiß unter uns diesen Unterricht Christi und Seiner Apostel. Wenn man sich aber in die Lage des jungen Christentums zur Zeit der Apostel versetzt und überlegt, von welcher Art das Verhältnis eines Christen zum römischen Reiche, oder, wenn er ein Sklave war, zu einem solchen römischen oder griechischen Herrn seines Leibes gewesen ist, so wird man zugestehen müßen, daß in den Worten „Gehorsam und Unterordnung“ etwas Ueberraschendes lag. Der Mensch ist schnell mit Schlüßen zur Hand, und wenn er schlußweise etwas gefunden hat, so däucht ihm das vollkommene und sichere Gewisheit. Der Christ scheidet sich von der Welt; das römische Weltreich ist Welt; also scheidet sich der Christ von dem römischen Weltreich. Wie

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/276&oldid=- (Version vom 1.8.2018)