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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Sonntage Cantate.

Jakobi 1, 16–21.
16. Irret nicht, lieben Brüder. 17. Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung, noch Wechsel des Lichts und der Finsternis. 18. Er hat uns gezeuget nach Seinem Willen, durch das Wort der Wahrheit, auf daß wir wären Erstlinge Seiner Creaturen. 19. Darum, lieben Brüder, ein jeglicher Mensch sei schnell zu hören, langsam aber zu reden, und langsam zum Zorn. 20. Denn des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist. 21. Darum so leget ab alle Unsauberkeit und alle Bosheit und nehmet das Wort an mit Sanftmuth, das in euch gepflanzet ist, welches kann eure Seelen selig machen.

 IMmer näher, meine lieben Brüder, treten wir dem Feste der Pfingsten; die österlichen Gedanken treten bereits zurück, die des hohen Pfingsten machen sich geltend: vorwärts strebt die Zeit, unaufhaltsam führt der Geist der Kirche die Heiligen Gottes der Vollendung entgegen. Das zeigt sich auch an den beiden Texten des heutigen Tages. Das Evangelium redet in Einem Zusammenhange von dem Hingang JEsu zu Seinem Vater, von Seiner Himmelfahrt und Heimkunft, von der Sendung des heiligen Geistes, die von der Heimkunft JEsu abhängt, und von den großen Werken des Geistes, die Er in der Welt und in der Kirche üben soll. Die Welt soll überwiesen werden von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht, die Kirche aber soll in alle Wahrheit geleitet werden durch den Geist des HErrn. Da lebt und webt es alles so frühlingsmäßig, der Geist Gottes und Seine Kräfte sind allenthalben zu erkennen, das Land wird voll der Güter des HErrn. In demselben hohen Pfingstton aber redet auch die Epistel. Da sieht man den Himmel der Kirche voll Frühlingswolken, die Regen und Segen bringen, dazu voll Güter und Gaben, die herabsteigen aus den ewigen Höhen und die armen Pilger auf Erden erfreuen sollen. Und wie in der Geschichte der Schöpfung erst Himmel und Erde und Paradies muß fertig werden, ehe der Mensch geschaffen wird, der in dasselbe eintreten soll, wie in sein Königreich: so redet die Epistel zuerst von allen guten geistlichen Gaben, die Gott vom Himmel schickt, dann aber von der geistlichen Neugeburt des Menschen selbst, dem zu Hilf und Heil alle Gaben geschenkt werden. Auch da ist es ja, wie wenn sich das Angesicht der Erde erneut und dann der Mensch mit Lob und Dank hinaustritt in seinen schönen Aufenthalt und in ihm wandelt. Nicht ohne Absicht, setzte ich dazu „und in ihm wandelt,“ denn die Epistel redet nicht allein von den Gaben Gottes und von der Neugeburt des Menschen, sondern auch von dem heiligen Wandel des Neugeborenen. Sehen wir also im Evangelium den Geist des HErrn geschäftig, die Welt zur Kirche, die Kirche selbst aber in alle Wahrheit zu leiten, so sehen wir in der Epistel, wie der Geist des HErrn die aus Gott geborene Kirche zum Besitze aller Himmelsgüter und zu einem Leben voll Heiligung und Tugend leitet. Da wird das Herz durch Einfluß unserer Texte sehnsüchtig und verlangend nach einer Wiederholung des Pfingstens, nach neuen Erfahrungen der Gnade Gottes. Nicht bloß beschrieben will man sehen und hören, was Gott den Seinen thun will; inne werden, erfahren will man es. Da nun aber der Weg der Erfahrung kein anderer ist, als der des göttlichen Wortes, und der HErr das geben will, wovon Er spricht, und zwar

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/282&oldid=- (Version vom 1.8.2018)