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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Kreaturen wären: das Wort der Wahrheit ist hier Gottes mächtiges Umwandlungsmittel; wodurch man neu geboren wird, dadurch wird man auch erhalten; wodurch die Umwandlung ins Leben trat, dadurch schreitet sie auch fort. Das Wort bleibt auf allen Stufen unseres innern Lebens die Kraft und Ursache jedes neuen Fortschritts, und dies Wort, meine lieben Brüder, finde ich im letzten Theile unsers Textes mehrfach wieder. Wenn es im neunzehnten Verse heißt „ein jeder Mensch solle schnell zum Hören sein“, so wird es mir schwer, es für eine apostolische Regel zu halten, daß man überhaupt und in allen Stücken schnell sein solle zu hören. Ist es denn wirklich eine Tugend oder auch nur eine Klugheit, auf alles zu horchen? Läßt sich nicht eben so wohl das Gegentheil vertheidigen? Ist ein langsames Hören nicht in manchen Fällen beßer oder doch eben so gut, als ein langsames Reden? Ist nicht oftmals geradezu der der Weiseste, der taub und stumm scheint und unter dem Geschwätz der Tage völlig theilnahmlos dahin geht? Ich denke, schnell zu hören soll man sein, nicht wenn die Schlange von den Zweigen herab spricht, sondern wenn das Wort der Wahrheit erschallt; so wie das Wort der Wahrheit im achtzehnten Verse als das Mittel unserer Wiedergeburt hingestellt ist, so sollen wir nun nach dem neunzehnten Verse dasselbige Wort schnell, eifrig, fleißig hören, in seiner Schule verharren, damit wir auch recht ausgeboren werden fürs ewige Leben, wenn wir es etwa noch nicht sind, und damit wir es um so mehr werden, wenn das gute Werk in uns schon begonnen hat. Schnell sein zum Hören des göttlichen Wortes, ja das ist eine treffliche Lehre, die schließt sich an den achtzehnten Vers an, die ist eine reine Folge aus diesem Verse, die besiegelt und bekräftigt das Ganze, da findet sich der helle schöne Gegensatz gegen den Anfang des Textes: denn auf die Versuchung und Lockung der Sünde soll man nicht achten, wohl aber auf das Wort, das uns wiedergebiert und selig macht. Zu diesem Sinne paßt denn auch der Fortgang unseres Textes so schön: „Langsam zum reden“. Sollst du Gottes Wort schnell hören, so wirst du wohl auch dasselbe, das Wort deines Gottes, langsam predigen und sprechen sollen. Es sind wohl die rechten Schüler nicht, von denen man sagt: „Was sie heute gelernt, das wollen sie morgen schon lehren“, auch ist das Wort zu groß, zu reich und ein zu tiefes weites Meer, als daß man nur mit einem so kleinen Weilchen hören Meister sein könnte und ein Lehrer werden. Nicht doch, sei vor allen Dingen ein stiller, lauschender, eifriger Schüler und laß das Wort erst in dir wurzeln, ehe du deinen Mund aufthust und des Wortes Früchte von deiner Zunge lösest. Der schnell zum Prediger wird, hat bald ausgesprochen: schnelle Worte, schnelle Sünden, schnelle Verdammnis. Für Gottes Wort hat jeder zwei offene Ohren, aber einen geschloßenen Mund, der erst durch den Geist geöffnet sein will, welcher durch das Ohr eindrang. Ohne Zweifel, meine lieben Brüder, fügt sich bis hieher die Auslegung ganz wohl. Ob nun aber auch, meine Lieben, der Satz „langsam zum Zorn“ sich in diese Auslegung fügt, oder es sich an dieser Stelle etwa doch noch findet, daß die erst erwähnte sprichwörtliche Deutung der drei gegliederten Lebensregel die rechte sei? Allein, meine Brüder, der letzte, 21. Vers des Textes, in dem es heißt: „Nehmet das Wort an mit Sanftmuth, das in euch gepflanzt ist, welches kann eure Seelen seligmachen“ lenkt ganz offenbar zu meiner Auffaßung ein, und doch beginnt auch dieser Vers mit den fast nur wie ganz gelegentlich klingenden Worten: „Darum so leget ab alle Unsauberkeit und alle Bosheit und nehmet das Wort an mit Sanftmuth.“ Da geht also ein Fortschritt des Gedankens von der Unsauberkeit und Bosheit zur Sanftmuth in Annahme des Wortes. Was Wunder, wenn im neunzehnten Vers der Fortschritt des Gedankens der ist: Gottes Wort schnell und eifrig hören, Gottes Wort langsam reden, sich nicht den augenblicklichen bösen Eindruck, die Leidenschaft, den entflammenden Zorn des alten Menschen von dem Wort abwenden laßen, weil man dadurch jene Gerechtigkeit nicht wirket, die Gott in den Kindern der Wiedergeburt schaffen will und nicht thut, was vor Gott recht ist. Der neunzehnte Vers verbietet den Zorn des alten Menschen wider das Wort, das uns gepredigt wird, der einundzwanzigste Vers hingegen gebietet das Gegentheil, nämlich die Sanftmuth und stille Hingebung an die Wirksamkeit des Worts. Der zwanzigste Vers zeigt dem Menschen, wie er durch Zorn wider das Wort des lebendigen Gottes um die Gerechtigkeit des neuen wiedergeborenen Lebens kommt; der einundzwanzigste Vers faßt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/287&oldid=- (Version vom 23.11.2018)