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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

eben diesen Zorn als Unsauberkeit und Ueberfluß der Bosheit. Es stimmt in der That alles zusammen für unsere Auffaßung, nur daß wir nicht gewohnt sind, von einem Zorne wider das Wort Gottes zu hören oder zu reden. Und doch ist es eine wunderliche Sache, daß wir daran nicht gewöhnt sind, da sich dieser Zorn so oft erweist, da jeder Prediger der Wahrheit von diesem Zorne der Menschen und des Teufels gegen das Wort Gottes tägliche Erfahrung macht, und da die Welt und ihr Fürst das Wort, das vom Himmel stammt, nie anders als im Zorne aufgenommen hat, und alle Lande, wie der Ehre Gottes so des Zornes wider Gottes Wort voll sind. Prüft euch nur etwas genauer, erwägt es nur etwas länger und es wird euch allmählich ganz offenbar werden, daß sich die letzten drei Verse unseres Textes ganz und gar mit der Aufnahme des göttlichen Wortes befaßen und mit nichts anderem, mit der falschen Aufnahme und mit der rechten, und daß die letztere als die rechte große Haupttugend eines wiedergeborenen Menschen hingestellt wird. Keinen Zorn, keine Unsauberkeit, keinerlei Ueberschwang der Bosheit solltest du in dein andauerndes, lebenslängliches Hören des göttlichen Wortes sich einmischen laßen, sondern schweigsam, mit aller sanften Weichheit und Empfänglichkeit, behend und eifrig auf das Wort hören, das lehren und dich zur Vollkommenheit bereiten kann. Wer das kann, bei dem ist immerdar Pfingsten, bei dem sproßt und treibt ein immer neuer Frühling, der kennt keinen Stillstand, der erfährt das reine Gegentheil von dem, der unter den Versuchungen seines alten Adams dahin geht, er wird mit vielen heiligen Gottesgaben überschüttet und sein Leben trägt eine reiche herrliche Ernte.

 Ich meine, geliebte theure Brüder, wenn wir nach alle dem unseren Text übersehen, könne er uns eben so pfingstmäßig als lieblich erscheinen; ich achte, wir haben so die heilige Epistel selbst als eine gute vollkommene Gabe Gottes kennen lernen; ich freue mich des Wortes, das er in sich hält, und erlaube mir nur noch zum Schluße auf die letzten Worte des Textes aufmerksam zu machen, die für den Text und für uns und unser Bedürfnis vortrefflich paßen. Am Schluß der epistolischen Rede steht von dem Worte Gottes dreierlei:

Das Wort ist in euch gepflanzt;
Das in euch gepflanzte Wort sollt ihr mit Sanftmuth aufnehmen;
Das so eingepflanzte und aufgenommene Wort kann eure Seelen selig machen.

 Es kann also das Wort Gottes in einen Menschen gepflanzt sein, ohne daß er es mit Sanftmuth aufnimmt und dadurch selig wird. Gepflanzt wird das Wort durch die Hand des Predigers und Lehrers: Nimmt es die Seele auf, wie der Erdboden die Pflanze in ein sanftes, weiches, williges Bette, so wächst die Pflanze und wird ein Baum der Gerechtigkeit und des Lebens. Läßt man aber neben der himmlischen Pflanze Zorn, Unsauberkeit und Bosheit wie das Unkraut wuchern, so wird die Pflanze übermocht, über eine Weile nimmt sie eine Hand unvermerkt weg, und die Seele, die da hätte können selig werden, geht verloren in dem Ueberschwang ihrer Bosheit. Das kann auch dem geschehen, der durch das Wort schon wiedergeboren ist. Der Wiedergeborene muß das Gotteswort als eine Pflanze in sich tragen, hegen und pflegen, oder aber es stirbt mit der Pflanze das neue Leben der Wiedergeburt selbst hin; alles neue Leben bleibt, gedeiht und wächst nur, wenn Gottes Same und Pflanze, Sein Wort in uns bleiben und wuchern kann. Habt ihr diese Sätze vernommen? Sie sind ein ernster Schluß des Ganzen, textgetreu, ganz aus dem Text gefloßen. Ist euch der Gedanke lieb, daß wir durchs Wort wiedergeboren sind, so laßt euch den andern gleich lieb werden: das Wort Gottes eine Pflanze, die man aufnehmen kann und soll, die man auch vernachläßigen kann und sterben laßen zum eignen Tode. Der HErr aber mache euch zu Wächtern Seiner Pflanze und zu einem gesegneten, fruchtbaren Boden, in welchem sie sein und bleiben und wachsen kann. Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/288&oldid=- (Version vom 1.8.2018)