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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Sonntage Rogate.

Jakobi 1, 22–27.
22. Seid aber Thäter des Worts, und nicht Hörer allein, damit ihr euch selbst betrüget. 23. Denn so jemand ist ein Hörer des Worts, und nicht ein Thäter, der ist gleich einem Manne, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschauet. 24. Denn nachdem er sich beschauet hat, gehet er von Stund an davon, und vergißt, wie er gestaltet war. 25. Wer aber durchschauet in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und darinnen beharret, und ist nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Thäter: derselbige wird selig sein in seiner That. 26. So aber sich Jemand unter euch läßt dünken, er diene Gott, und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführet sein Herz, deß Gottesdienst ist eitel. 27. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der: die Waisen und Wittwen in ihrer Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt behalten.

 DEr heutige Sonntag heißt Betsonntag, nicht bloß, weil das herrliche aus Joh. 16 entnommene Evangelium jene hochberühmte herrliche Stelle vom Gebet im Namen JEsu enthält, sondern weil mit diesem Sonntag die sogenannte Betwoche beginnt, in deren erster Hälfte die römisch-katholische Kirche ihre Bittgänge und Litaneien für die Fluren und Feldfrüchte zu halten pflegt, die lutherische Kirche aber in ihren Versammlungen für die Fluren und Früchte des Feldes eifriger und anhaltender betet als sonst. Ohne allen Zweifel ist für diese Zeit des frühen Jahres, für diese leibliche und geistliche Frühlingszeit das Gebet für die Fluren und Früchte sehr schicklich und bedeutungsvoll. Unser Gebet begleitet das Thun des HErrn: Er hat Sich aufgemacht, das Land zu segnen und Seine Fußstapfen triefen von Fett, alles tritt in Flor. Seiner Kirche aber entgeht die Spur Seines Segensgangs nicht, sie freut sich derselben, und verfolgt sie mit betendem Vertrauen und vertrauensvollen Gebeten. So wie nun aber nach dem Grundsatze der Kirche dem unabläßigen Wirken Gottes auch ein unermüdliches Wirken der Seinen zur Seite gehen soll, da ja Christus der HErr gesagt hat: „Mein Vater wirket bisher und Ich wirke auch,“ – auch unsere Gebete im allgemeinen begleitet sein sollen von guten Werken; so ist namentlich heute am Betsonntag dem Evangelium zur Seite eine Epistel gestellt, die auf das ernstlichste die Jünger JEsu zu guten Werken anleitet. Beten unter guten Werken, gute Früchte bringen unter unabläßigen Gebeten im Namen JEsu, und dabei auf den Tag sehen, der da kommt, auf den Pfingsttag, der auch uns eine Zeit der neuen Heimsuchung und Mahnung des werthen heiligen Geistes sein möge: das ist die rechte Verfaßung eines Christenmenschen, eines Pfingstchristen, und die verleihe euch der treue Gott.

 Unser Text selbst zerlegt sich in zwei Theile. Der erste handelt im Allgemeinen von der Notwendigkeit der guten Werke, von der heiligen Verpflichtung der Christen, nicht bloß Hörer, sondern auch Thäter des Wortes zu sein. Der zweite Theil und seine beiden Verse zeigt uns insonderheit zwei Früchte des göttlichen Wortes, die aus dem Leben des Glaubens und der Liebe in uns nothwendig hervorgehen müßen. Beide Theile des Textes sind voll Licht und Kraft des HErrn; es sei unsere Freude, einen nach dem andern zu betrachten.

 Gute Werke sind nothwendig, ein Satz, der alle Anerkennung verdient. Jedoch wißen wir dabei wohl, daß unsere Seligkeit keine Frucht der guten Werke ist, sondern ein freies Gnadengeschenk, dem gläubigen Menschen aus Gnaden um Christi willen gegeben. Daher kann man allerdings nicht sagen, daß gute Werke zur Seligkeit nöthig seien, wie die Ursache zur Wirkung, wie der Same zur Frucht. Dennoch aber

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/289&oldid=- (Version vom 1.8.2018)