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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gottesdienst ist eitel, wer ihn hat und hochschätzt, betrügt sich selbst. Wie könnte es auch anders sein, meine lieben Brüder? Wie stimmt der Zungenmisbrauch mit dem Dienste Gottes? Wie soll man Gott gefallen, wenn man sich alle Augenblicke mit Zungensünden beschmutzt, zumal es am Tage ist und ein jeder aus eigner Erfahrung es sattsam wißen kann, daß nichts die Seele eitler, öder, unzufriedener, staubiger, schmutziger und unbehaglicher macht, als Zungensünden. Darum mag ein jeder sich bei der heutigen Epistel das recht wohl merken und einprägen, daß ein Schüler des göttlichen Wortes, der es mit demselben ernst und genau nimmt und zum Gesetze der Freiheit hindurchdringt, den ersten Einfluß seines Studiums in der Art und Weise und im Maße seines Redens empfinden muß. Gottes Gedanken müßen deine Gedanken, Gottes Worte deine Worte reinigen, mäßigen und heiligen, und selbst wenn du bisher ein Schwätzer gewesen wärest, ein unverbeßerlicher, so müßte es dem Geist des HErrn doch gelingen, dich in diesem Stücke zu ändern, und der vormals ein Schwätzer war, muß durch den ewigen Geist der Rede, den heiligen Geist, auch ein Meister der Zunge und seiner Worte werden. Hie besinne dich und schlage an deine Brust.

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 Schon in dem 26. Verse, deßen Betrachtung wir so eben geschloßen haben, ist die heilige Zucht der Rede dem gottesdienstlichen Leben gegenübergestellt, welches aus dem rechten Hören des Wortes hervorgehen muß. Dies gottesdienstliche Leben ist nun auch der Hauptinhalt des letzten Verses, des siebenundzwanzigsten im Kapitel. Nicht daß nun alles nach einander aufgezählt würde, was man unter dem Namen „gottesdienstliches Leben“ zusammenfaßen kann, aber es werden einige Beispiele, ja Bestandtheile dieses Lebens gezeigt, die vortrefflich zeigen können, welche Werke und heiligen Uebungen nach Gottes Sinn und Willen aus dem Heiligtum des HErrn vor andern hervorgehen sollen. Denn so schreibt der heilige Apostel: „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst bei Gott und dem Vater ist der, die Waisen und Wittwen in ihrer Trübsal besuchen, und sich unbefleckt von der Welt erhalten.“ Ganz offenbar ist durch den Beisatz Gottesdienst „bei Gott dem Vater“ dem Leser dieses Verses eine hohe Meinung und große Schätzung der heiligen Werke, von welchen der Vers redet, beizubringen beabsichtigt. Ob Menschen es hoch anschlagen, wenn man sich der Wittwen und Waisen annimmt und sich von der Welt unbefleckt erhält, oder ob sie es für nichts achten, das kann demjenigen vollkommen gleichgiltig sein, der aus dem Munde des heiligen Jakobus vernimmt, das sei allerdings ein Gottesdienst, und zwar vor Gott dem Vater, also vor dem höchsten Richter, deßen Urtheil in Ewigkeit recht behält wider alle seine Feinde. Dazu heißt es nicht einmal bloß, die verzeichneten Werke und Uebungen seien vor Gott und dem Vater ein Dienst, sondern es wird beigesetzt: „ein reiner und unbefleckter.“ Wird man aus diesen Beiwörtern schließen müßen, daß der HErr an diesem Gottesdienste gar keinen Mangel findet, daß keine Sünde und kein Flecken an ihm haftet? Kann etwas völlig rein sein vor Dem, vor welchem auch die Himmel nicht rein sind, und der auch an Seinen Boten Tadel findet? Oder huldigt etwa der heilige Jakobus jener Lehre etlicher Secten und der römischen Kirche, nach welcher der Christ schon auf Erden eine völlige und unwandelbare Heiligkeit erreichen kann? Ist es der Mühe werth, mit Stellen aus unsrem Briefe das Gegentheil zu beweisen? Bedarf das jemand unter uns? Wenn aber nicht, wenn St. Jakob wie die übrigen Apostel die Unvollkommenheit jedes Menschen glaubt und lehrt, wie kann er denn irgend eine Tugend, irgend ein gutes Werk einen reinen und unbefleckten Gottesdienst nennen? Uebertreibende Worte werden wir doch nicht bei ihm suchen; wenn aber seine Worte wahr sind, wie kann dann etwas, wie kann irgend ein Dienst, ein Werk, eine Uebung, eine Tugend rein und unbefleckt sein? Ich weiß das nicht anders zu erklären, als so: Wenn dich die Kraft des göttlichen Wortes und der Geist der Freiheit der Kinder Gottes mit Liebe und Aufopferung gegen arme geplagte Waisen und Wittwen erfüllt, du dich ihrer annimmst, dagegen aber die Gemeinschaft und Befleckung der feindlichen Welt vermeidest, so gefällt dem HErrn in Christo JEsu dieser Trieb und dieses Werk des heiligen Geistes so wohl, daß Er mit dem Blute Seines Eingebornen die Flecken davon wäscht und aus Gnaden um Christi willen deine unvollkommenen, unreinen und befleckten Werke für rein und unbefleckt erklärt. Weißt du die Worte des heiligen Jakobus auf eine andere Weise aufzufaßen, ohne

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/294&oldid=- (Version vom 1.8.2018)