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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

beginnen, der Segen und Geist unsres ewigen erhöheten HErrn und Heilandes möge mit uns sein.

 Wie ihr sehet, besteht unser Text aus den elf ersten Versen des ersten Kapitels der Apostelgeschichte. Die drei ersten Verse sind eine Einleitung des heiligen Schriftstellers in die ganze Schrift, welche er über die Thaten der Apostel verabfaßt hat. Durch diese einleitenden Verse schließt sich der heilige Lucas an sein erstes Werk, an das heilige Evangelium an, welches er auf Anregung und unter Leitung des heiligen Geistes geschrieben hat. Mit der Erzählung der Himmelfahrt des HErrn hat er sein Evangelium beschloßen, mit einer Erzählung von eben demselben Ereignis eröffnet er nach den ersten Eingangsversen die Apostelgeschichte: wie diese große Thatsache im Evangelium als Schlußpunkt des Lebens und persönlichen Wirkens JEsu auf Erden erscheint, so erscheint sie in der Apostelgeschichte als Anfangs- und Ausgangspunkt der großen und gesegneten Thätigkeit, welche unser HErr JEsus Christus durch Seinen heiligen Geist und durch Seine zwölf Boten über die Erde hin eröffnen sollte und wollte. Der heilige Schriftsteller hat also bei der Erzählung der Himmelfahrt im Evangelium eine andere Absicht verfolgt, als bei der in der Apostelgeschichte, und je nach der verschiedenen Absicht hat er an den beiden verschiedenen Orten aus den Umständen derselbigen großen Thatsache verschiedenes hervorgehoben und erzählt. Kein Widerspruch ist zwischen den beiden Erzählungen, sondern die eine ergänzt die andere, so daß wir erst durch Zusammennahme beider ein vollkommeneres Bild von der Auffahrt JEsu bekommen. Hier in diesem Vortrag sehen wir die Auffahrt unsers HErrn textgetreu, nicht als Schlußpunkt des sichtbaren Lebens und Wirkens JEsu auf Erden an, sondern ganz als eine offene Pforte für die große reiche Zeit der Wirksamkeit, welche JEsus Christus durch Seinen Geist und Seine Apostel begonnen hat. Laßt uns sie nach unserem Texte betrachten, ohne daß wir die drei Eingangsverse des Capitels ausführlich besprechen, es wird vielleicht im Laufe des Vortrags Gelegenheit geben, diejenigen Einzelheiten, welche sich auf die Festgeschichte beziehen, aus diesen Eingangsversen hervorzuheben und an ihrem Orte bemerklich zu machen.

 Uebersehen wir den Text, so weit er den Vorgang der Auffahrt JEsu erzählt, so finden wir, daß vom vierten bis zum achten Verse Vorbereitungen zur Auffahrt Christi stehen, im neunten und zehnten Verse die Auffahrt selbst erzählt wird, der letzte elfte Vers aber die Botschaft der Engel von der Wiederkunft Christi enthält. Die Vorbereitungen zur Auffahrt zerfallen wieder in zwei Stücke, nämlich in den letzten Befehl und in die letzten Verheißungen des HErrn.

 Der letzte Befehl an Seine Jünger war der, von Jerusalem nicht zu weichen, sondern auf die Verheißungen des Vaters, welche ihnen JEsus Christus verkündigt hatte, zu warten, dann aber Seine Zeugen zu werden in Jerusalem und in dem ganzen Judäa und in Samaria und bis ans Ende der Erde. Die letzten Verheißungen des HErrn hängen auf das engste mit den letzten Befehlen zusammen, sie beziehen sich auf die schon erwähnte Verheißung des Vaters, die ihnen Christus verkündigt hatte. Wie Johannes mit Waßer getauft habe, so würden sie nach wenigen Tagen mit dem heiligen Geist getauft werden; die Kraft des heiligen Geistes würde über sie kommen. Der HErr befahl also ein Warten in Jerusalem bis zur Ausgießung des heiligen Geistes. Dieser Befehl muß an seiner Stelle gewesen sein; man erkennt aus ihm, daß ohne denselben die Jünger, welche von den Engeln im elften Verse als galiläische Männer angeredet werden, nach der Auffahrt Christi sich nicht mehr in Jerusalem würden aufgehalten, – sondern sich in ihre Heimath zurückbegeben haben. Aber nicht das allein erkennt man, sondern noch etwas anderes und ein drittes. Der HErr hätte ja auch in Galiläa Seinen Geist über die Jünger ausgießen können, da Er ja selbst, sogar nach Seiner Auferstehung, gerne in diesem Seinem Heimathlande war und den Seinigen dort so viele und geistliche Wohlthaten während Seines irdischen Wandels erzeigt hatte. Aber siehe, das will Er nicht, Er will Seinen Geist über sie in Jerusalem ausgießen, Er unterscheidet auch in Seinem verklärten Leben die irdischen Orte, sie sind Ihm nicht gleichgiltig, Er hat Jerusalem ausersehen vor allen Orten der Erde, wie daselbst zu sterben und von den Todten aufzustehen, so auch Seinen heiligen Geist über Seine Jünger auszugießen. Für das Gesetz der Berg in der Wüste, dagegen aber für die großen Thaten des

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/297&oldid=- (Version vom 1.8.2018)