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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zweifeln, der lese den 6. Vers unseres Textcapitels, den also, der unmittelbar auf unsere Epistel folgt und mit ihr in dem innigsten Zusammenhange steht. Da sagt St. Paulus gerade heraus: „Dies, lieben Brüder, hab ich auf mich und Apollos gedeutet.“ Ist nun aber unwidersprechlich das „uns“ auch auf Apollos zu deuten, so ist es auch unwidersprechlich, daß Apollos ein Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse heißt. Apollos aber war kein Apostel, sondern ein Lehrer, der obendrein den Aufenthalt wechselte, also kein Lehrer, der zugleich Hirte war, denn der Hirte bleibt bei der Heerde. St. Paulus faßt also sich und Petrum zusammen mit einem Lehrer, der nicht Apostel noch Hirte war, und wendet auf ihn dieselben Worte an, wie auf sich und seinen Mitapostel Petrus. Sollte nun aber wiederum Apollos den Anlaß zu einer Einwendung geben und aus der Größe seines Namens und seiner leuchtenden Gaben der Schluß gemacht werden, daß auf die Hirten nicht bezogen werden könne, was von einem hohen apostelgleichen Lehrer wie Apollos gelte; so wird diese letzte Ausflucht durch Verweisung auf Tit. 1, 7. ganz und gar niedergelegt. In dieser Stelle nennt derselbige Mund die Bischöfe und Aeltesten der Gemeinden Haushalter Gottes, der diesen Titel Aposteln und Apollos beigelegt hat. Damit ists aber auch vollkommen erwiesen, daß ganz recht geschehen ist, wenn ich behauptet habe, man ersehe aus dem ersten Vers unseres Kapitels, was die Hirten und Lehrer seien, nämlich Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Eben damit ist aber auch Grund genug gegeben, die Diener zu erkennen und zu ehren. Wie mancher eitle Mensch freut sich hie und da über den Titel eines königlichen Dieners, eines fürstlichen oder gräflichen Beamten und demonstrirt mit sichtlichem Wolgefallen den wolbegründeten und unumstößlichen Satz, daß der Diener desto höher zu achten und zu ehren sei, je größer der Herr ist, welchem er dient. Muß nun auch die Eitelkeit in diesem Falle einmal recht haben, so wird man doch auch billig den wahrhaftigen Schluß einer jeden Gemeinde zutrauen können und dürfen und müßen, daß also Christi Diener zwiefacher und großer Ehren dürften werth gefunden werden, weil sie dem offenbar größten und höchsten Herrn dienen, die größten und wichtigsten Befehle und Aufträge vollziehen, die herrlichsten seligsten Schätze verwalten. Man könnte auf den Titel eines Dieners und Haushalters Christi in der That nicht wenig stolz sein, wenn der Stolz überhaupt nicht eine satanische Sünde wäre, am allerverdammlichsten aber für Diener Christi, die da wißen können und tagtäglich fühlen müßen, daß die Bürde des Amtes sie tiefer hinabstößt in die Demut und Vernichtigung, als der Satan sie durch Vorhalt der großen Würde in die Höhe zu werfen vermag. Bei dem Amt sollte es eigentlich aus sein mit allem Brüsten und Prangen; es fühlt sich zu schwer und drückt nieder wie Centnersteine, so daß es gar oftmals wie ein schwerzufaßender Glaubensartikel erscheint, daß wir Amts- und Würdenträger Jesu seien. Der Herr gestattet aller Welt, über uns hin mit schmutzigen Füßen zu laufen und uns in den Koth zu treten; wir sind so sehr voll Verachtung und Spott, daß es eine That und Verläugnung ist, sich vor die jetzigen, zum Teil gleichgiltigen, zum Teil hohnlachenden Gemeinden hinzustellen, und ihnen zu predigen: „Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“

 Es ist überhaupt, als müßte man in dieser Epistel von einer Tiefe zu der andern steigen. Denn so eben hat man sich angestrengt zu predigen: wir sind Christi Diener und Haushalter; nun aber wird man zweitens ein Wörtchen zu predigen haben, welches das Gewißen in der Tiefe aufrührt und den Menschen in Selbstvernichtung führt, ich meine das Wörtchen „Treue“, und drittens wird vom Gericht die Rede sein, vor welchem das Herz erschrecken kann und beben, wie die Bäume im Wald, wenn der Wind geht.


II.

 Den zweiten Teil des diesmaligen Vortrags habe ich euch voraus so bezeichnet, daß er von der Tugend eines Hirten und Lehrers handeln soll. Was für eine Tugend aber damit gemeint sei, darüber kann niemand im Zweifel sein, der auf den Text oder auch nur auf die letzten Sätze geachtet hat, die ich so eben geredet habe, es ist die Treue. Man könnte die sogenannten Pastoralbriefe Pauli, die Briefe an Timotheus und Titus aufschlagen, und aus denselbigen nicht bloß eine, sondern eine ganze Reihe von Tugenden aufstellen, die man bei einem Hirten und Lehrer zu suchen hat. In unsrem Texte aber heißt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 023. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)