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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

doch auch allenthalben auf Erden bei den Seinen gegenwärtig. Wozu ist Er aufgefahren in die Höhe, und in welcher Absicht hat Er Sich auf den Thron Seines Vaters gesetzt, wenn es nicht geschehen ist, um das Regiment des Himmels zu ergreifen, das Reich der Herrlichkeit und das Reich der Natur im Namen Seines Vaters zu regieren? „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, so spricht Er selbst mit Beziehung auf Seine Auffahrt. Also ist die Himmelfahrt der Tag Seiner Einsetzung, wenn auch noch nicht in das Reich Seines Vaters David, so doch in das Reich Seiner göttlichen Macht und Herrlichkeit. Dazu ist es bekannt, wenn auch nicht aus unserer Textesstelle, doch aus anderen, daß der HErr am Tage Seiner großen Ehren mit Seinem eigenen Blute eingegangen ist in das Heiligtum und Seine hohenpriesterliche Thätigkeit im Himmel begonnen hat. Er lebt immer und bittet für uns und gebraucht Sein theures Blut zum Heile der erlösten Sünder in einer Art und Weise, welche wir allerdings nicht zu erkennen vermögen, von deren Dasein und seliger Wirkung wir aber dennoch in der heiligen Schrift die sichersten Zeugnisse haben. So beginnt also mit der Himmelfahrt zugleich die göttliche Thätigkeit JEsu Christi im Regimente des Himmels und der Welt und Seine hohenpriesterliche Wirksamkeit zum Heile der Seinen. Weil Er Sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so lebt Er nun in die Länge und ohne Ende, und des HErrn Werk geht durch Seine Hand fort. Es ist etwas außerordentliches, daß uns die heilige Schrift zugleich von dem Eintritt JEsu in Sein ewiges Priestertum und in das göttliche Regiment berichtet. Allmächtig wirkt Er als König der Welt und doch betet Er auch als Hoherpriester. Dies wunderbare Beten eines Mannes, der Gott ist und allmächtig wirkt, deutet nicht bloß darauf hin, daß Seine Menschheit die allmächtige Kraft nicht ewig beseßen, sondern empfangen hat, nicht bloß auf das ewige Bewußtsein der Abhängigkeit des menschlichen Willens JEsu von dem göttlichen, sondern auch auf den großen Unterschied, der zwischen dem Reiche der Herrlichkeit und der Natur einerseits, und zwischen dem Gnadenreiche andrerseits ist. Das Gnadenreich erstreckt sich über Sünder, die nicht verdienen, selig zu werden und doch zur Seligkeit geführt werden sollen. Dies letzte ist aber keine Sache der puren Allmacht; da muß die Gerechtigkeit des HErrn zufrieden gestellt, der gerechte Zorn Gottes, die gerechte Strafe des Allerhöchsten beseitigt werden, ehe die Mittel der Allmacht zur Seligkeit verlorner Sünder angenommen werden können. Eben deshalb muß der ewige Menschensohn, der wohlwollende König der ewigen Herrlichkeit, die Kinder des ewigen Todes im himmlischen Heiligtum kraft Seines Blutes erst entsündigen, ehe Er sie zu den verheißenen Hütten der ewigen Ruhe führen kann durch Seine Macht. Sonne, Mond und Sterne regiert Er mit Seiner königlichen Hand, die Menschenseelen aber und ihre Leiber kann Er nicht ohne versöhnende Thätigkeit selig machen, obwohl Er allmächtig ist. So groß ist unsre Sünde und ein solches Hindernis unserer ewigen Vollendung, daß ein ewiger König, der nicht zugleich ein ewiger Hoherpriester wäre, uns nicht zu helfen vermöchte. Nur in der Vereinigung der ewigen Macht und der priesterlichen Versöhnung gründet unsre Ruhe, unsre Seligkeit. Diese Vereinigung aber feiern wir eben an dem Himmelfahrtstage, in ihr sehen wir Ziel und Absicht der Auffahrt in die ewigen Höhen. – Wozu aber ist Christus allgegenwärtig auf Erden? Das sehen wir völlig klar, wenn wir jener Stelle gedenken, welche aus dem Munde des auffahrenden HErrn Matth. 28, 18–20 berichtet wird. Wie der HErr in unsrem Texte Seinen Jüngern sagt, sie sollten Seine Zeugen sein bis ans Ende der Erde, so befiehlt Er ihnen auch dort, in alle Welt hinauszugehen und zu allen Völkern, sie zu taufen und sie zu lehren. Vorher aber sagt Er ihnen, es sei Ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben; kraft dieser Gewalt sendet Er die Jünger in alle Welt und verheißt ihnen dann zum Schluße: „Siehe Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Dieser Satz zeigt uns in seinem Zusammenhang die Absicht der Allgegenwart des HErrn. Er ist bei den Seinen, um ihnen zum Werke zu helfen. Im Himmel regiert Er die Welt zum Besten Seiner Kirche und übt Sein schützendes Hohenpriestertum für die Seinen aus; auf Erden aber beginnt Er am Himmelfahrtstage oder doch in Folge der Himmelfahrt vom Pfingstfeste an weit und breit Seine selige Thätigkeit als Hirte und Bischof der Seelen, der unsichtbar bei Seiner Heerde ist und ihr sichtbarlich hilft, der sich durch Seine Auffahrt nicht also verbirgt, daß

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/301&oldid=- (Version vom 1.8.2018)