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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

es: „Man sucht nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu erfunden werden.“ Das ist nun aber nicht ein Widerspruch, es ist nicht hier eine Tugend an der Stelle aller andern genannt, sondern sie sind zusammengefaßt in eine; die Treue schließt alle ein, und wer sich überzeugen will, der schlage nur die Pastoralbriefe auf, und prüfe, so wird er finden, daß sich wirklich alle in die Treue zusammenfaßen laßen und daß die Treue Königin ist. Es gehört zum Haushalt eines Oekonomus Gottes mancherlei Gabe und mancherlei Tugend, Haushaltungsverstand, Haushaltungswachsamkeit, Haushaltungsfleiß und viel anderes; aber die Gabe hilft nichts und die übrigen Tugenden alle sind todt, wenn die Treue todt ist. Treu aber ist der, dem sein Herr vertrauen kann, in deßen Amtsführung sich das Vertrauen rechtfertigt, das sein Gott in ihn gesetzt hat, als er ihm das Amt vertraute. Der Herr vertraut das Amt und damit Seine heiligen segensreichen Geheimnisse und Schätze seinen Haushaltern in der Absicht, daß sie damit nach Seinen heiligen Regeln und Seinem ihnen kund gegebenen Willen umgehen, und alle ihre Gaben dazu anwenden, daß mit Seinem Gute Sein heiliger und grundgütiger Wille geschehe. Es läuft daher die Treue zusammen mit dem Gehorsam: wer in der Verwaltung der himmlischen Güter des Wortes und Sakramentes in allen Fällen allezeit und allenthalben seines HErrn Willen thut, der ist treu. – Daraus, meine lieben Brüder, könnt ihr ersehen, was ihr von den Hirten und Lehrern zu erwarten habt, die Treue des Gehorsams nämlich gegen das Wort und den Willen Christi. Die Korinther haben an ihren Lehrern andere Dinge gesucht, als die Treue. Sie waren eitle Griechen, die nach Menschenweisheit, nach einer ihnen zusagenden Beredtsamkeit und allerlei äußerlichen Dingen fragten. Statt sich an den Gaben aller Lehrer zu erfreuen, welche zu ihnen kamen, und nach dem Grundsatze zu gehen „Alles ist euer“, waren sie wählerisch und zertrennten sich in Parteien, je nachdem ein jeder die göttliche Wahrheit nach seinem Geschmacke vorgetragen fand oder nicht. Etliche wollten die Wahrheit nur in der Weise vorgetragen finden, wie es Christus that. Eine unsinnige Forderung, da kein Apostel reden kann wie der HErr, so wenig ein Strahl, der von der Sonne ausgehet, dem Heerd und Meer des Lichtes gleichet, das in der Sonne selbst ist. Andere verlangten von allen im Vortrag die petrinische Fülle, Allseitigkeit und Mannhaftigkeit. Wieder andere fanden nichts schön, als die Weise des gelehrten alexandrinischen Juden Apollos. Endlich gab es auch solche, welche die paulinische Tiefe und Schärfe jeder andern Gabe vorzogen. So gieng die Gemeinde zu Korinth in vier Parteien auf, die nicht um die Wahrheit stritten, denn die hatten und wollten sie alle, auch nicht um Tugend und Treue, denn die war bei all den genannten Lehrern zu finden, sondern rein um die höhere oder niedere Gabe, um den schöneren und paßenderen Vortrag, um die Elocution, um die Form. Deshalb nannten sie sich Christisch und Kephisch und Apollisch und Paulisch. Ein entschlafener Lehrer der lutherischen Kirche behauptete, die protestantische Christenheit Deutschlands habe sich aus dem neuen Testamente insonderheit die Korintherbriefe zuzueignen; die Gaben und die Fehler der korinthischen Gemeinde fänden sich auch bei den deutschen Protestanten. Ich weiß nicht, ob der theure Lehrer bei den Gaben recht hat, aber mit der Gemeinsamkeit der Fehler hat es seine Richtigkeit, insonderheit mit dem Fehler der Wählerei und der Parteiungen um der besondern Gaben willen des Vortrags und der Beredtsamkeit der Lehrer. Denn diese widerwärtige ekelhafte Untugend, aus der Lehr- und Predigtweise eine Liebhaberei zu machen, und den Lehrern nachzulaufen, je nachdem einem die Ohren jücken, ist bei uns allerdings allenthalben sehr gemein. Mancher Lehrer wird in der Entwicklung seiner Gaben durch die Misachtung, welche er findet, aufgehalten und gehindert, wenn ihm nicht gar durch Gram und Verdruß darüber die Gabe selbst zerdrückt wird und verloren geht. Manch anderer aber ist wie ein Vogel, den man zum Singen reizt, der sich mit vielem Gesang und durch Misbrauch seiner Stimme die Stimme verdirbt und aufhören muß vor der Zeit; denn gerade so misbraucht mancher Prediger, wenn er vom Lobe seiner Anhänger gereizt wird, seine Gabe und nützt sie ab, so daß sein Schatz bald leer wird, und sein Segen versiegt. Es sind ja nicht alle Lehrer mit solcher Besonnenheit und Weisheit begabt, wie St. Paulus, welcher durch Lob und Tadel der Korinther und anderer nicht benebelt noch getrübt wurde, sondern den einfachen Pfad der Furcht seines HErrn und der treuen Benützung deßen, was er hatte, unter

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 024. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)