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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

übrig, als durch Dolmetscher Gottes Wort zu reden, woran man ohnehin in jener Zeit sehr gewöhnt war.

 Das also ist die Verheißung des Vaters. Der Geist, der je und je in der Welt gewesen, kommt auf eine besondere Weise, den Sinnen vernehmlich, mit mächtiger, gewaltiger Wirkung in die Seelen der Jünger, aus denen er dann eben so gewaltig und mächtig wirkt auf andere. Nicht etwas neues wird den Jüngern gegeben, nicht etwas anderes, als sie aus dem Munde JEsu und aus Seinem Herzen schon empfangen hatten, nicht ein anderer Heilsweg, nicht andere Heilsmittel und Gnadenmittel werden offenbart. Der Geist bleibt auf der Straße JEsu, Sein Werk setzt er fort. Was JEsus gesäet hat, das laßen die Frühlingskräfte des heiligen Geistes aus der Erde, aus der verborgenen Tiefe der Herzen hervorsproßen. Zu Leben und Kraft, zu mächtiger Befriedigung der Seele, zu Licht und Flamme wird alles, was JEsus gesagt, gethan, gelitten, durch den Geist des HErrn gebracht. Ein göttliches Wesen ist es, das alles in allem wirket, ein Werk ist es, das alle Personen der allerheiligsten Dreieinigkeit einigt, dennoch aber wie in dem einigen göttlichen Wesen die drei Personen geschieden sind, so wirkt eine jede an dem gemeinsamen Werke in heiliger Besonderheit. Von Ihm und durch Ihn und zu Ihm ist jede Wirkung, und wo sie sich erweiset, da werden die Seelen zum dreieinigen Gott gezogen, Seine Tempel und Seine Werkstätten.

 Nachdem wir nun gesehen haben, was sich an Pfingsten ereignet hat, so können wir die Wirkung betrachten, welche dies Ereignis auf andere hervorgebracht hat. Wir haben eine äußerliche und eine innerliche Wirkung unterschieden. Von der ersten redet der Text voran. Es war damals in Jerusalem Festzeit; die Stadt war angefüllt mit Festgästen. Der HErr hatte vorgesehen, daß von allem Volk unter dem Himmel, von allen Gegenden der Erde Juden herbei gekommen und zum Pfingstfeste anwesend waren, und zwar Männer, welchen der heilige Geist Lob geben, sie gottesfürchtig oder empfänglich für die himmlische Wahrheit nennen konnte. Diese große Festversammlung war nach dem Willen Gottes der Grund und Boden, aus welchem der Garten Seiner Kirche wachsen sollte, der zweite und weitere Kreis, auf welchen von dem ersten Kreise, der ursprünglichen Pfingstgemeinde, die beseligende Wirkung sich zunächst verbreiten sollte. Wußten diese Menschen auch nicht, zu welcher Absicht sie der HErr in Jerusalem zusammengeführt hatte, so hielt sie dennoch der HErr im Himmel bereit zu dem seligen Zwecke, den Er Sich ihrethalben von Anbeginn gesteckt hatte. Als Sein Geist unter dem Schall und Getön des gewaltigen Windes vom Himmel herniederfuhr, da hätte Er leicht machen können, daß dieser Schall von niemanden als von der bräutlich harrenden Gemeinde JEsu bemerkt und vernommen worden wäre. Er that es aber nicht, sondern das Wehen und der Schall wurde allgemein gehört, dazu auch Ziel und Richtung von allen bemerkt, zu welchem und in welcher der brausende Ton dahin eilte; der Tempel, die Halle Salomonis, der Theil, in welchem die Jünger versammelt waren, wurde für alle kenntlich bezeichnet, so daß aus dem ganzen Tempel und aus der ganzen Stadt alles zur ersten Kirche, zu den ersten feierlichen Gebeten und Lobpreisungen Gottes, zu der ersten Predigt strömte. Der HErr hatte den ersten Gottesdienst des neuen Testamentes mit einem himmlischen Glockentone eingeläutet, und wer in Jerusalem eines guten Willens war, der folgte seinem Rufe und seinem Zuge. Räumlich begibt sich alles zu den Aposteln, was sich geistlich mit ihnen vereinigen soll, und wenn auch auf den Ruf des himmlischen Getönes leiblich mehr zusammenströmen, als geistlich versammelt werden, so gibt es doch keine Gemeinde Christi und keinen Zuwachs für dieselbe, welcher nicht aus der Schaar der Berufenen emporwüchse. Wie strömts zur Halle Salomonis aus den Vorhöfen des Tempels, aus den Thälern und Höhen und Straßen der heiligen Stadt: lauter Berufene, alle an der Hand Gottes und JEsu und Seines Geistes. Sind etwa viele Neugierige unter diesen allen gewesen? Möglich, aber der Neugierige hat mehr Hoffnung als der Träge, aus der Neugier wird so oft heilige Wißbegier und aus dem unlauterlichen Beginnen des Menschenkindes wird oftmals durch die Hand des lebendigen Gottes etwas lauteres und reines. Bist du lauter und rein, daß du andere richtest? Wenn aber nicht, was richtest du einen fremden Knecht, dem du in allen Stücken gleich bist, wenn dir auch gleich ohne all dein Verdienst und Würdigkeit durch die unaussprechliche Gnade und Langmuth Gottes mehr Gabe geworden ist. –

 Doch aber laßt uns vorwärts schreiten und nach

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/314&oldid=- (Version vom 1.8.2018)